Sterne der Karibik: Roman (German Edition)
entzündete er ein Feuer und briet das Schwein. Nachdem er sich satt gegessen hatte, bereitete er sich aus Palmenblättern und Gras ein Lager in der Grotte und sank in einen tiefen Schlaf. Am nächsten Morgen erwachte er vom Lärm der Vögel. Er wusch sich an einem Bach, trank, aß ein paar Brocken des Jungschweines, dann streifte er ziellos durch die Wälder. Als er müde geworden war, begab er sich zu seiner Grotte und schlief, um am nächsten Tag genauso zu leben wie am heutigen. Monatelang tat er nichts anderes. Er hatte seit dem Verlassen des Ingenios mit keinem Menschen mehr ein Wort gesprochen. Nur mit sich selbst. Am Anfang hatte er noch ganze Sätze gebildet, hatte sie in den Wald geflüstert, gerufen, manchmal geschrien. Und am Anfang waren da auch noch Gefühle gewesen. Wut, Angst, Verzweiflung. Jetzt war da nichts mehr. Und wenn Fela nun sprach, dann nur noch in einzelnen Worten. Manchmal dachte er, dass er beinahe selbst zum Tier geworden war. Er machte sich keine Gedanken über die Gegenwart, keine über die Zukunft. Nur manchmal, in den stillen Nächten, in denen die Fledermäuse durch die Grotte zogen und nur von weit her das Bellen der wilden Hunde zu hören war, da fragte sich Fela, wie es weitergehen sollte. Würde er auf ewig durch die Wälder streifen wie ein Werwolf? Würde er jemals wieder unter Menschen gehen, mit ihnen sprechen, ihr Vertrauen haben wollen? Nein. Unvorstellbar. Aber was würde ihm die Zukunft sonst bringen? Unendliche Traurigkeit überkam ihn, wenn er solchen Gedanken nachhing. Und er beeilte sich stets, diese Gedanken zu verscheuchen.
Drittes Kapitel
M afalda betrat das Zimmer, in dem Hermann arbeitete oder – wie zumeist – still und versunken in seinem Sessel saß. Sie tat es leise, um ihn nicht zu stören, stellte das Tablett mit dem starken Kaffee beinahe lautlos auf einen kleinen Beistelltisch, der sich schräg vor dem Schreibtisch befand und der von zwei dicken Ledersesseln eingerahmt war. Ebenso leise öffnete sie den Humidor und kontrollierte, ob noch genügend Zigarren darin waren. Dann stand sie mit hängenden Armen hinter Hermanns Schreibtisch, strich sich fahrig über ihr Kleid und räusperte sich.
»Was ist?«, brummte Hermann. Seit dem Kampf mit Fela war seine Aussprache verändert. Ganz gleich, was er sagte, es klang zu jeder Zeit gestört und missmutig.
»Ich gehe in die Manufaktur«, teilte ihm Mafalda mit. »Und ich wollte dich fragen, ob du dieses Mal mitkommst.«
Missmutig schüttelte Hermann den Kopf. »Wie oft willst du mich das noch fragen? Tagein, tagaus, jeden Morgen dieselbe Leier. Hast du noch immer nicht begriffen, dass ich nicht dort hingehe, wenn die anderen dort sind?«
»Doch«, erwiderte Mafalda. »Aber du irrst dich. Sie starren nicht. Sie arbeiten weiter, heben nur kurz den Kopf, um dich zu grüßen.«
»Du weißt genau, dass sie starren. Jeder starrt, weil niemand zuvor je eine solch ungeheuerliche Fratze gesehen hat.«
Mafalda seufzte. Sie wusste nicht, wie oft sie diesen Satz in den letzten beiden Jahren schon gehört hatte. Natürlich starrten die Leute. Ja, es war tatsächlich schon vorgekommen, dass die Kinder zu weinen anfingen, wenn sie Hermann gesehen hatten. Aber er konnte sich doch nicht für den Rest seines Lebens in diesem Arbeitszimmer verstecken.
Mafalda trat an das Fenster und öffnete es. Von draußen drang der Lärm der Hauptstadt herein. Karren rumpelten vorüber, eine Frau lachte, ein Mann rief derbe Scherzworte. Der Geruch von Pferdemist und Rauch drang in das Zimmer.
»Du willst also auch heute nicht mitkommen?«, wiederholte sie.
»Nein.«
»Aber ich brauche dich dort. Du musst mir helfen, den Rum zu veredeln. Hast du nicht genug Experimente gemacht?«
»Ich bin noch nicht ganz fertig.«
Mafalda schürzte die Lippen. Sie war es leid, zu seinem Rücken zu sprechen. Ach, sie war das alles so unendlich leid. Sein Selbstmitleid, die viele Arbeit, die zum großen Teil an ihr hängen blieb. Am meisten aber litt sie unter seiner Lieblosigkeit. Es war, als hätte er sich eingesponnen, unerreichbar für gute Worte, sanfte Gesten, blind für ihre Liebe. Sie schlug die Hände vor das Gesicht und begann hemmungslos zu weinen. Verzweifelt ließ sie sich in einen der dicken Ledersessel fallen. Gab ihr früher der leichte Duft nach guten Zigarren ein wenig Trost, so roch sie ihn heute nicht einmal. Das Leben schien ihr trist und hoffnungslos.
Sie hörte, wie sich Hermann nach ihr umdrehte. »Was ist?«, fragte er,
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