Sterne einer Sommernacht
Gespenstern zusammenwohnt. Erzähl ihnen doch noch die Geschichte von den beiden Soldaten, Cassie.”
Obwohl sie die Geschichte mehrmals pro Woche vortrug, hatte Cassie plötzlich Mühe, sich in Devins Gegenwart nicht gehemmt zu fühlen. Sie faltete die Hände über ihrer Schürze und holte tief Luft.
„Zwei junge Soldaten”, begann sie dann, „verloren während der Schlacht bei Antietam den Anschluss an ihr jeweiliges Heer und irrten in den Wäldern, die direkt hinter dem Inn liegen, herum. Die Meinungen darüber, ob sie versuchten, wieder Anschluss an ihre Truppe zu finden, oder ob sie die Absicht hatten zu desertieren, sind geteilt. Man weiß es offensichtlich nicht genau. Natürlich hörten sie das Geschützfeuer, aber sie wagten sich nicht vor, weil sie nicht wussten, bei welchem Heer sie landen würden, und Angst hatten, in die gegnerischen Linien zu geraten. Irgendwann trafen sie aufeinander – Feinde, wie sie auf den ersten Blick bemerkten, denn der eine trug eine blaue Uniform und der andere eine graue.”
„Die armen Jungen”, murmelte Mrs. Berman.
„Sie schössen aufeinander, verwundeten sich gegenseitig und krochen schließlich schwer verletzt in entgegengesetzte Richtungen davon. Der eine, der Konföderierte, schaffte es bis zu diesem Haus. Man erzählt sich, er habe geglaubt, nach Hause zu kommen, denn alles, was er sich ersehnte, war, sicher im Schoß seiner Familie zu sein. Einer der Sklaven fand ihn draußen im Garten und schleppte ihn schließlich ins Haus. Die Hausherrin war eine Südstaatenlady. Sie hieß Abigail, Abigail O’Brian Barlow, und hatte einen reichen Yankee geheiratet, einen Mann, den sie nicht liebte. Aber sie fühlte sich natürlich an ihr Ehegelübde gebunden.”
Devin hob eine Augenbraue. Das war eine neue Wendung der Geschichte, die er seit seiner Kindheit kannte.
„Als ihr Blick auf den Jungen fiel, fühlte sie sich an ihre eigene Jugend und an ihr Zuhause erinnert. Ihr Herz floss über vor Mitleid mit ihm, und sie ordnete an, ihn die Treppe hinaufzutragen, wo sie beabsichtigte, seine Wunden zu versorgen. Sie sprach mit ihm, hielt seine Hand und versicherte ihm, dass alles gut werden würde, während zwei Sklaven ihn diese Treppe hier hinaufschleppten. Sie wusste, dass sie nie mehr in ihr Zuhause zurückkehren würde, aber sie wollte dafür sorgen, dass zumindest der Junge wieder heimkehren konnte. Der Krieg hatte sich mittlerweile in seiner ganzen Grausamkeit gezeigt, ein sinnloser Kampf und sinnloser Schmerz, genau wie ihre Ehe. Abigail glaubte, wenn sie diesem armen Jungen helfen könnte zu überleben, dann hätte ihr eigenes Leben zumindest einen Sinn erfüllt.”
Mrs. Cox kramte Papiertücher aus ihrer Handtasche, reichte eins davon ihrer Schwester und putzte sich geräuschvoll die Nase.
„Und dann kam ihr Mann die Treppe herunter”, fuhr Cassie fort. „Sie liebte ihn nicht, aber sie hasste ihn auch nicht, sie zollte ihm Respekt und gehorchte dem Mann, den sie geheiratet hatte, dem Vater ihrer Kinder. Er hatte ein Gewehr bei sich, und sie sah die Mordlust in seinen Augen. Sie schrie ihn an, nicht zu tun, was er zu tun beabsichtigte, sie bettelte. Die Hand des Jungen lag in ihrer, sein Blick war auf ihr Gesicht geheftet, und wenn sie den Mut gehabt hätte, hätte sie sich über ihn geworfen, um ihn mit ihrem eigenen Körper zu schützen.”
Nun war es Cassie, die auf die Stufen schaute und seufzte. „Aber so viel Mut brachte sie nicht auf. Ihr Mann feuerte sein Gewehr ab und tötete ihn.
Abigail hielt die ganze Zeit über seine Hand. Er starb hier, dieser junge Soldat, an dieser Stelle. Und sie starb mit ihm. Ihr Herz starb. Seitdem sprach sie mit ihrem Mann nie mehr ein Wort und begann ihn zu hassen.
Sie trauerte so lange, bis sie zwei Jahre später verschied. Und noch heute kann man oft, sehr oft, den Duft der Rosen, die sie liebte, in diesem Haus riechen und ihr Weinen hören.”
„Oh, was für eine traurige Geschichte.” Mrs. Cox betupfte sich die Augen. „Irma, hast du jemals eine so traurige Geschichte gehört?”
Mrs. Berman schniefte. „Sie hätte besser das Gewehr genommen und diesen Dreckskerl erschossen.”
„Ja.” Cassie lächelte leise. „Vielleicht ist das der Grund, weshalb sie noch immer weint.” Sie schüttelte die beklommene Stimmung, die die Geschichte jedes Mal von Neuem in ihr erzeugte, ab und geleitete die beiden alten Damen die letzten Stufen hinunter. „Wenn Sie möchten, können Sie es sich jetzt im Salon gemütlich
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