Sterne im Sand
kleiner Junge soll tot sein? Ertrunken? Wie konnte das passieren?«
Ada saß stundenlang bei ihr, spendete Trost, betete mit ihr, versuchte zu erklären, wie es zu dem Unglück gekommen war, und tat ihr Bestes, um Charlotte in ihrer Trauer zur Seite zu stehen. Nicht zum ersten Mal mußte sie miterleben, daß Freunde von einem tiefen Unglück getroffen wurden, doch die Situation wurde nicht leichter dadurch. Später sandte sie entgegen Charlottes ausdrücklichem Willen nach einem Arzt, der ihr ein Beruhigungsmittel verabreichte, und versprach, gleich am nächsten Morgen mit ihr nach Springfield zu fahren.
Als die Kutsche die endlosen Landstraßen entlangfuhr, unternahm Ada den Versuch, Charlotte von der Tragödie abzulenken, indem sie sich erkundigte, ob sie den Streit mit ihren Söhnen inzwischen beigelegt habe.
»Wen kümmert das jetzt noch?« fauchte Charlotte. »Victor und Louisa müssen am Boden zerstört sein. Und Rupe natürlich auch. Ich werde mir nie verzeihen, ihnen so viele Unannehmlichkeiten bereitet zu haben. Ich war nicht da, als sie mich brauchten, habe statt dessen in Brisbane gesessen und geschmollt. Wenn ich dagewesen wäre, hätte ich dieser verdammten Gouvernante doch nie erlaubt, mit Teddy an den Fluß zu gehen …«
»Charlotte, es ist Gottes Wille, du konntest nichts dagegen tun. Wir alle müssen uns seinem Ratschluß beugen.«
»Seiner Grausamkeit, meinst du wohl. Zuerst mein Mann, und nun mein einziger Enkel. Der arme Victor hat fast gleichzeitig Vater und Sohn verloren. Ich muß ihm beistehen, ich habe mich so selbstsüchtig verhalten. Er kann den Besitz haben, mitsamt meinem Grundstück. Ich gebe alles zurück.« Ada seufzte. Sie hätte es nie gewagt, der Freundin in ihrem derzeitigen Zustand zu widersprechen, hielt ihren Entschluß insgeheim jedoch für übereilt. Selbstsüchtig hatten sich eher die anderen in ihrer Familie verhalten.
Irgendwann nahm Charlotte die Haube ab, lehnte sich zurück und schloß die Augen. Auch Ada war müde, hatte aber noch nie während der Fahrt schlafen können, nicht einmal in diesem komfortablen Gefährt. In Gedanken ließ sie ihre eigenen Probleme Revue passieren. Jock alterte zusehends, wollte die Zügel jedoch nicht aus der Hand geben. Er betrachtete sich immer noch als Boß, lag aber ständig mit den Aufsehern der drei Außenposten im Streit, die sich um die Vorherrschaft drängten. Sie tuschelten oft miteinander, er solle sich endlich zurückziehen und einen von ihnen zum Verwalter ernennen.
Zu ihrer Überraschung hatte Jock sich ihr anvertraut, nachdem die letzten Renngäste abgereist waren.
»Weißt du, Ada, Austin Broderick, Gott hab ihn selig, hat es falsch gemacht. Harry war nie für die Politik geschaffen. Er ist ein geborener Bushie, und Austin hätte darauf bestehen sollen, daß statt seiner Rupe nach Brisbane geht. Er weiß, wann er die Hand zu heben und wann er sie unten zu lassen hat. Der Jüngste hat es faustdick hinter den Ohren.«
»Das findet seine Mutter auch gerade heraus«, gab Ada zurück. »Und was Harry betrifft, nachher ist man immer klüger. Er und Connie haben einfach über ihre Verhältnisse gelebt und sind unsanft auf dem Teppich gelandet. Von dieser verdammten Abstimmung ganz zu schweigen. Das wird man ihm nie verzeihen.«
»Ach, es ist doch schon fast vergessen. Ich habe Harry nie gut gekannt, weil er so oft weg war, aber ich möchte ihn und Connie gern hier haben. Jetzt kommt auch noch ein Baby, das bringt Leben ins Haus. Dein Bruder, der Herr Richter, läßt sich nur selten zu einem Besuch bei uns herab. Ich schätze, das nächste Mal taucht er bei meiner Beerdigung auf.«
»Was soll das Gerede? Worauf willst du hinaus?«
»Ich sag dir was, Mädchen. Hätte ich gewußt, daß Harry nach Tirrabee gehen wollte, hätte ich ihn mir selber geschnappt.«
»Wozu?«
»Um ihn zu meinem Verwalter zu machen natürlich. Er würde unseren drei Witzbolden hier Beine machen, meinst du nicht? Ich kann nicht ewig arbeiten, und du wirst auch nicht jünger. Welchem von den dreien würdest du denn die Leitung überlassen?«
»Keinem«, entgegnete sie bitter.
»Dann solltest du besser über meinen Vorschlag nachdenken, Ada. Nimm den Teufel, den du kennst, und wenn er dazu noch zur Familie gehört … Harry und Connie sind genau das, was du brauchst, die nächste und die übernächste Generation. Das Essen war übrigens ganz hervorragend. Bringst du mir noch ein Glas Portwein?«
Sie goß sich auch eines ein und nippte
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