Sterne im Sand
ein wenig hinaus. Sie fragte sich, ob sie damals nicht doch anders darüber gedacht hätte, wenn es ihr nicht darum gegangen wäre, ihren Job zu behalten.
Mrs. Broderick hatte Minnie zum Arbeiten ins Haus geholt, als sie zwölf war. Zunächst war es ihr schwergefallen, sich im Haus und in der fremden Sprache zurechtzufinden, doch sie hatte sich sehr viel Mühe gegeben und machte inzwischen nur noch selten Fehler. Im Laufe der Jahre waren andere Mädchen gekommen und gegangen, doch Minnie war am längsten geblieben. Sie hatte einen festen Platz gefunden und lebte gern in zwei Welten. Zwei schwarze Mädchen arbeiteten als Hausmädchen, doch Minnie gefiel es in der Küche am besten. Sie kam gut mit der Köchin aus, die ihre Arbeit zu schätzen wußte.
Nioka hingegen hatte sich geradeheraus geweigert, für die Weißen zu arbeiten. Sie kümmerte sich zwar gern um den kleinen Teddy, weil sie ihn mochte und er einen guten Spielgefährten für ihren und Minnies Sohn abgab, doch niemand konnte sie dazu bringen, bei ihnen in Stellung zu gehen, wie man es hier nannte. Sie spielte mit den drei kleinen Jungen in der Nähe des Hauses oder nahm sie mit ins Lager zum Schwimmen, und die Broderick-Leute akzeptierten das. Sie wußten, daß die Schwarzen Teddy sehr liebten und dem weißhaarigen Jungen unter den Augen so vieler Menschen nichts geschehen würde.
Bedrückt kehrte Minnie mit den Kürbisvierteln und einer Emailleschüssel voller Bohnen in die Küche zurück.
Was würde Nioka dazu sagen?
Hannah war beschäftigt und beachtete Minnie nicht weiter, die den Kürbis schälte und die Bohnen mit einem kleinen Messer oder, wenn ihr die Köchin den Rücken kehrte, auch mal mit den Zähnen abzog.
Was genau hatte sie eigentlich gehört, als sie den Teetisch abräumte? Minnie war sich nicht ganz sicher. Sie war mit den Tabletts hin- und hergelaufen und hatte nur Gesprächsfetzen aufgeschnappt. Zudem sprachen der Betmann und seine Missus in Singsangstimmen, nicht geradeheraus wie die anderen, so daß sie sie vielleicht nicht richtig verstanden hatte. Das kam oft genug vor. Doch sie hatten bestimmt davon gesprochen, die Kinder mitzunehmen. Die schwarzen Kinder. Teddy nicht.
Sie wußte, daß alle Broderick-Jungs zur Schule fortgeschickt wurden, wenn sie alt genug dazu waren. Teddy würde vermutlich mit zwölf Jahren hingehen. Doch sie hatte deutlich gehört, wie der Mann von Sechsjährigen sprach, denn Mrs. Broderick hatte es noch einmal wiederholt.
Sechs? Minnie erschauderte. Ihr Junge war sechs. Jagga war knapp sieben. Und es gab im Lager noch andere Kinder dieses Alters. Minnie hätte vor Angst schreien mögen.
»Du träumst wieder vor dich hin, Missy«, sagte Hannah. »Mach weiter. Du mußt auch noch Äpfel schälen, und danach kannst du mir Milch und Käse aus der Molkerei holen.«
Hoch oben auf einer Klippe über dem Ozean saß ein sehr alter Mann. Sein Haar war mit Bienenwachs und Muscheln zu einem hohen Kegel frisiert. Um seinen Hals hing eine Kordel mit einem gefährlich aussehenden Krokodilzahn. Sein dunkler, knochiger Körper war nur mit einem Lendenschurz bekleidet, doch das dichte Netz aus Narben auf seiner Haut erweckte beinahe den Eindruck eines Kleidungsstücks. Auf den ersten Blick wirkte er schwach und hilflos, ein Opfer seines hohen Alters, doch sobald er die Augen öffnete, war dieser Eindruck verschwunden. Moobuluk brauchte sie nicht mit der Hand vor dem grellen Sonnenlicht zu beschirmen; sie leuchteten braun und hell, wachsam wie die Augen eines weit jüngeren Mannes.
Neben ihm lag ein dreibeiniger Dingo ausgestreckt. Das Tier hatte einst vor der Wahl gestanden, in der Falle eines Weißen zu sterben oder sein eigenes Bein abzubeißen. Der Dingo hatte sich fürs Weiterleben entschieden. Nachdem er feststellen mußte, daß er nicht länger der Anführer seines Rudels war, hatte er sich diesem Menschen angeschlossen, den man anscheinend ebenfalls zum Sterben zurückgelassen hatte.
Doch der Dingo hatte sich geirrt, gründlich geirrt. Moobuluk war nicht nur einer der angesehensten Ältesten des Emu-Volkes, man hatte ihm auch große Verantwortung übertragen. Das Träumen hatte ihn tiefer und tiefer in die unergründlichen Geheimnisse und Mysterien seiner Rasse geführt. Nun war er der berühmteste Zauberer auf dieser Seite des Kontinents und hatte alle seine Lehrmeister überlebt. Moobuluk war viele Jahre lang weit über die Grenzen seines heimatlichen Kamilaroi-Landes hinaus gereist, hatte die Anführer
Weitere Kostenlose Bücher