Sterne im Sand
Nachmittags und der darauf folgenden wilden Nacht gelang es ihm, Cleo Murray eine höfliche Nachricht zu senden. Darin teilte er ihr mit, er wohne für einige Tage im Gloucester und fragte an, ob er sie aufsuchen dürfe. Diesmal mußte er sich wohl oder übel an die Etikette halten.
Am nächsten Morgen schlief er lange. Nach dem Aufwachen verschwammen in seinem Kopf undeutliche Erinnerungen an zahllose Bars, ein Varieté, üppige Frauen in seinen Armen und eine Puffmutter, die ihn um Geld anschrie. Er wußte nicht mehr, ob er sie bezahlt hatte oder nicht, aber das war auch egal. Er hatte nur ein Pfund bei sich gehabt, der Rest lag sicher im Hotelzimmer versteckt. Bei diesem Gedanken sprang er unvermittelt aus dem Bett und sah in der untersten Kommodenschublade nach. Das Geld war noch da. Gut. Damit war seine Unabhängigkeit von der Familie vorerst gesichert.
Beim Rasieren bestätigte ihm der Spiegel, wie gut er aussah, sogar besser als sein Bruder Harry. Sein Aussehen hatte die Damen gestern abend wie die Motten angezogen, soviel wußte er immerhin noch. Sie hatten gar nicht damit aufhören können, von seinen langen Wimpern und frechen Augen zu schwärmen.
Wann würde er wohl von Cleo hören? Er zweifelte nicht eine Sekunde daran, daß sie sich melden würde. Gott sei Dank wußte er noch, wo ihre Tante wohnte; schließlich hatte sie es ihm oft genug gesagt und mit dem herrlichen Haus geprahlt, das in Yeronga am Flußufer lag. Sie hatte versucht, ihn damit zu beeindrucken, was er nie so recht verstanden hatte. Wieso brüstete sie sich ausgerechnet damit, wo ihr Vater doch die riesige Zuckerrohrplantage im Norden besaß? Erst kürzlich hatte er gelesen, daß die Zuckerpreise in astronomische Höhen stiegen, da in den Großstädten die Marmeladenfabriken wie Pilze aus dem Boden schossen. Nur in Queensland ließ sich erfolgreich Zuckerrohr anbauen, weil dort das richtige Klima herrschte und billige schwarze Arbeitskräfte von den Salomonen zur Verfügung standen. Alles klang so herrlich dekadent, genau wie in den Geschichten über die Pflanzer in Südamerika, die sich in weißen Anzügen mit Longdrinks in der Hand und umringt von unzähligen Bediensteten in der Sonne aalten.
Doch das war Zukunftsmusik. Im Augenblick stand Rupe kurz vor dem Verhungern. Er brauchte eine anständige Mahlzeit und ging zum Mittagessen in den Speisesaal. Er aß einen Grillteller und erwiderte das liebliche, schüchterne Lächeln einiger hübscher Mädchen um ihn herum, das seine Laune noch weiter gehoben hätte, wäre da nicht die Sorge um Cleo gewesen. Wenn sie nun heimgefahren war? Oder ihn nicht sehen wollte? Immerhin hatte man sie recht unsanft von Springfield verbannt. Doch das war ja nicht seine Schuld gewesen.
Verärgert schlenderte Rupe aus dem Speisesaal. Nun saß er hier fest und mußte auf Cleos Antwort warten, wo es in Brisbane doch so viele interessante Dinge zu sehen gab.
Ein Page sprach ihn an. »Mr. Broderick …«
Da war er – ein rosafarbener Umschlag, der seinen Namen in Cleos ordentlicher Handschrift trug.
Sie freue sich, von ihm zu hören, und lud ihn für den Nachmittag ein. Er nickte lächelnd. Natürlich, warum hatte er sich überhaupt Sorgen gemacht?
Rupe hatte sich die anderen Herren im Hotel genau angesehen und beschlossen, sich eine völlig neue Garderobe zuzulegen. Er eilte über die Straße zum besten Herrenausstatter, bei dem die Brodericks gut bekannt waren, und kaufte ausgiebig ein. Die Rechnung würde an Springfield gehen.
In einem dunklen Gehrock in der modernen, gekürzten Länge, schmal gestreiften Hosen und Zylinder verließ er den Laden und platzte beinahe vor Selbstvertrauen. Er nahm eine Pferdedroschke zu der angegebenen Adresse in Yeronga, stieg aus und betrachtete den herrlichen Garten hinter dem hohen Eisentor.
Cleo hatte recht; allein der Garten verriet, daß es sich hier um ein herrschaftliches Anwesen handelte. Er öffnete das Seitentor und ging auf das Haus zu. Natürlich konnte es mit Springfield nicht mithalten, war jedoch ein hübsches, einstöckiges Gebäude aus Sandstein, das eher wie ein Wochenendhaus wirkte. Die elegante Fassade wurde durch eine Reihe von Bögen in klösterlich-strengem Stil betont.
Rupe war nicht auf die unnahbare Frau vorbereitet, die ihm die Tür öffnete. Noch nie war er einer häßlicheren Frau begegnet. Ihr Gesicht erinnerte an eine Kartoffel, ein Eindruck, der durch das streng nach hinten gekämmte Haar mit dem Mittelscheitel noch verstärkt wurde.
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