Sterne im Sand
Mrs. Broderick?«
»Vielleicht. Ich denke noch darüber nach.«
Fern nahm ihr Abendessen auch dann im Speisezimmer ein, wenn sie allein war. Einsam fühlte sie sich nie. Sie genoß diesen Teil des Tages: eine gute Mahlzeit, ein Glas Wein, Ruhe … Vor dem Fenster verzogen sich die Vögel allmählich zum Schlafen ins Gebüsch, und die Currawongs stimmten ihren abendlichen Gesang an.
Fern überdachte ihren Plan. Connie war sicher zu Hause. Sie konnte weder verlangen, daß Harrys Frau sie beide allein ließ, noch das Thema in ihrer Gegenwart anschneiden. Auf keinen Fall wollte sie in der Familie Zwietracht säen. Möglicherweise würde Harry auf ihre Einmischung mit Zorn reagieren, vor allem, da sie durch Lauschen zu ihrem Wissen gelangt war.
Allmählich redete sie sich das Vorhaben selber aus. Schließlich war ihr Neffe kein Kind mehr. War er wirklich auf die Ratschläge seiner Tante angewiesen? Was wollte sie ihm überhaupt raten?
Vielleicht würde er ihr sogar die Tür weisen, und das mit Recht.
»Nein, ich bleibe doch hier«, teilte sie der erleichterten Bonnie mit. »Meinen Kaffee trinke ich am Schreibtisch.«
Austin war entsetzt gewesen, daß eine Dame ein Rollpult in ihrem Wohnzimmer aufstellte. Fern gefiel es dort besser, da ihr das hintere Zimmer, in dem Justin gearbeitet hatte, zu abgeschieden erschien.
Nun saß sie mit der Feder in der Hand vor einem leeren Blatt Papier. Vielleicht sollte sie an Harrys Mutter appellieren. Austin konnte sie wohl kaum schreiben; es wäre grausam, einen kranken Mann derart zu beunruhigen.
Fern fiel ein, daß sie auf ihren eigenen Brief keine Antwort erhalten hatte. Vermutlich war Charlotte zu sehr mit wichtigeren Dingen beschäftigt, um auch noch auf die vielen Genesungswünsche seiner Freunde zu reagieren.
Liebe Charlotte,
schrieb sie.
Ich hoffe, Dir geht es gut und Austins Genesung macht Fortschritte. Connie hat mir jedenfalls berichtet, er sei auf dem Wege der Besserung. Es fällt mir schwer, diesen Brief zu schreiben, weil ich mich nicht in Eure Angelegenheiten mischen möchte, aber ich habe erfahren, daß Harry in finanziellen Schwierigkeiten steckt …
»Nein«, sagte sie laut, »das kann ich so nicht schreiben. Klingt zu sehr nach Petzen. Unmöglich.«
Sie zerknüllte die Seite und warf sie in den Papierkorb. »So etwas sollte man nicht brieflich erledigen.«
Sie rief nach Bonnie. »Was hältst du von einem Besuch auf der Springfield Station?«
»Ich? Wann denn?«
»Sobald ich im Laden alles geregelt habe. Anfang nächster Woche.«
»Wunderbar. Endlich machen Sie einmal Urlaub. Wie kommen wir dorthin?«
»Mit Bahn und Kutsche. Es ist eine lange Reise.«
»Klingt nicht sehr erholsam, diese Kutschen holpern doch so. Sind Sie wirklich fest entschlossen?«
Bonnie hatte recht. Ein Arzt würde einer Frau in mittleren Jahren wohl kaum eine so lange, unbequeme Reise empfehlen, selbst wenn am Ziel Austins behagliches Haus auf sie wartete. Zudem galt es auch die beschwerliche Rückreise zu bedenken.
»Nein«, gab sie zu Bonnies Überraschung zurück. »Aber ich habe das Gefühl, ich sollte es tun.«
»Ach so, Sie machen sich Sorgen um Mr. Austin?«
Fern nickte und fügte im Geiste hinzu: Um ihn und seinen verfluchten Sohn. Was sollte sie überhaupt sagen, wenn sie erst einmal dort war? Den Eltern erzählen, daß er in Schwierigkeiten steckte? Vielleicht wäre eine ruhige Unterredung mit dem besonnenen Victor die vernünftigere Lösung.
Oder sollte sie besser zu Hause bleiben und sich um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern? Wollte sie denn wirklich fahren, um zu helfen, oder benutzte sie Harry als Vorwand, um Austin wiederzusehen?
Harry stand mit der Tweedjacke über der Schulter und der Krawatte in der Hand in seiner Schlafzimmertür. Die Schuhe hatte er auf der Veranda gelassen. Er kam sich dumm vor, wie er da in Socken auf der Schwelle stand und sein Bett anstarrte. Besser gesagt, die beiden Menschen in seinem Bett, zwei Körper, zerknüllte Laken, Kopfkissen auf dem Boden. Im Zimmer war es dunkel, das einzige Licht drang aus dem Flur hinter ihm herein.
Er war der Eindringling. Peinlich berührt, wollte er sich schon mit einer Entschuldigung abwenden und die Tür hinter sich schließen. Er war ohnehin verwirrt und deprimiert, doch nun verstand er die Welt nicht mehr. Er sah sich um. Dies war doch sein Schlafzimmer, oder etwa nicht?
Plötzlich entstand heftige Bewegung im Bett. Körper lösten sich voneinander. Jemand umklammerte die Decken.
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