Sterne im Sand
johlenden Lachen. Harry versuchte vergeblich, den Vogel in den hohen Baumkronen auszumachen.
Scheinbar gelang ihm einfach gar nichts, das mußte er sich ehrlich eingestehen.
Einsam und deprimiert, wie er war, konfrontierte sich Harry mit den eigenen Schwächen, und das Bild, das er auf diese Weise von sich gewann, fiel alles andere als erfreulich aus. Das Parlament hatte er nie ernst genommen, war weitaus mehr am gesellschaftlichen Leben interessiert gewesen, das damit einherging. »Es gibt Wichtigeres, als Freunde einzuladen und Feste zu feiern«, hatte ihn Austin bereits vor längerer Zeit gewarnt, doch Harry hatte seine Mahnung in den Wind geschlagen. Seine Schulden aus Rennwetten und dem Kartenspiel hatte er sich ganz allein zuzuschreiben, anders als die Sache zwischen Connie und Sam. Doch in seinem Zorn war ihm völlig entfallen, daß auch er, Harry Broderick, nicht gerade ein Heiliger war. Wie war das doch gleich mit den Junggesellenabenden bei Madame Rosa gewesen? Mit der kleinen Pearl im plüschigen Hotel Albert? Und ihrer Freundin aus der Bar? Sie waren stets sehr entgegenkommend gewesen.
»Und ausgerechnet du schreist deine Frau an«, murmelte er. Trotzdem: so ganz dasselbe war es ja wohl doch nicht. Er war immer noch entsetzt darüber, ausgerechnet
seine
Frau mit Ritter im Bett erwischt zu haben.
Was sollte er tun? Er hatte sich zum Narren gemacht, im Haus herumgeschossen. Zweifellos war er an einem echten Tiefpunkt angelangt.
Er riß sich zusammen, stand auf und bereitete sich die letzte Portion Speck mit Bohnen zu. Dabei fiel sein Blick auf das Gewehr, das an der Wand lehnte. Diese Lösung wäre wenigstens schnell, sauber und endgültig.
Harry Broderick verspürte bei dem Gedanken an den Tod merkwürdigerweise eine gewisse Erleichterung. Er würde seinen letzten Tag unbeschwert genießen. Er führte sein Pferd zum Schwimmen in den Fluß und erklärte dem Tier, daß er es bald im Busch freilassen werde. Dann versuchte er sich an einem Fladenbrot aus Mehl, Wasser und einer Prise Salz, das ihm überraschend gut gelang. Er aß es mit Sirup und lehnte sich zufrieden zurück.
Wen kümmerte es schon, wenn er starb? Vermutlich niemanden. Für die Familie war er doch nur eine Belastung. An diesem Abend trank er in einer seltsam euphorischen Stimmung den letzten Rum. Später würde er die Hütte von innen verbarrikadieren und sich dann dort erschießen, damit sein Körper von Raubtieren verschont blieb. Zunächst wollte er aber noch die Nacht genießen.
Es war eine wunderbar klare Nacht. Harry suchte am Himmel nach dem Kreuz des Südens, das ihn seit seiner Kindheit faszinierte. Dabei orientierte er sich an den beiden großen Sternen des Kentauren, die östlich davon lagen. Harry ließ die Augen über das Sternbild wandern.
Riesengroß prangte es über ihm am Himmel. Sein ganzes Leben lang hatte er beobachten wollen, wie das Kreuz des Südens sich umdrehte. Im Busch wurde viel darüber gesprochen, doch er war irgendwie nie dazu gekommen, hatte sich niemals die Zeit dafür genommen, weil es ihm nicht wichtig genug gewesen war. Nun war es ihm plötzlich wichtig. Auf einmal schien es das einzige, was er in seinem Leben je wirklich gewollt hatte. Er lehnte sich zurück und wartete. Harry wußte, es konnte Stunden dauern, bis das Kreuz sich über den gesamten Himmel bewegt und umgedreht hatte, vielleicht sogar die ganze Nacht. Nun, er hatte Zeit.
Zu seinem Ärger ballten sich Wolken am nächtlichen Himmel zusammen und griffen nach dem Kreuz, als wollten sie ihm sogar diese letzte kleine Freude noch verderben. Dann ertönte draußen im Busch ein scharrendes Geräusch, und sein Pferd wieherte.
Mit dem Gewehr in der Hand stürzte Harry durch das Gebüsch und erreichte eine kleine Lichtung. Das Pferd wieherte noch immer, bäumte sich auf und warf sich nach vorn, um die Dingos abzuwehren. Weglaufen konnte es nicht, da es an den Vorderbeinen gefesselt war. Harry schoß in die Luft, doch die knurrenden, schnappenden Wildhunde ließen sich nicht beirren. Sie schienen zu wissen, daß sie sicher waren, solange sie sich möglichst nah beim Pferd hielten, es als Schutzschild benutzten. Also mußte auch Harry, aus Angst, das Tier zu treffen, näher herantreten. Er feuerte noch einmal, und ein Dingo heulte vor Schmerz auf. Der verwundete Hund trottete jaulend davon, gefolgt von den beiden anderen.
Rasch löste Harry die Fußfesseln des Pferdes und führte es aus dem Gebüsch vor die Hütte.
Im Licht der Lampe wusch er
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