Sterne im Sand
und las ihn sich grinsend noch einmal durch. Wutentbrannt hatte der alte Knabe Harrys sämtliche Sünden aufgeführt. Der Schweinehund habe nicht nur die alles entscheidende Abstimmung verpaßt, sondern stehe auch bei jedem in der Kreide, sei völlig pleite und habe obendrein seine Frau mit einem Gewehr bedroht. Charlotte und Victor wollten den Brief unter Verschluß halten, doch Rupe war anderer Ansicht. Weshalb sollte Austin nicht erfahren, daß Harry sie im Stich gelassen hatte? Angeblich war er bereits unterwegs nach Springfield und würde sich sicher inzwischen eine Menge Entschuldigungen zurechtgelegt haben.
»Wenn es nach mir geht, wird man dich hier nicht mit offenen Armen empfangen«, brummte Rupe. Dann brachte er Austin den Brief. Ihm war durchaus bewußt, daß sein Vater daraufhin einen erneuten Schlaganfall erleiden könnte, entschuldigte sein Tun aber damit, daß er von der Geschichte früher oder später ohnehin erfahren würde. Zum Beispiel, wenn Harry auftauchte und ihn um Geld anbettelte, mit dem er sich aus dieser Klemme befreien könnte.
Rupe glaubte zwar nicht, daß Harry seine Frau mit einem Gewehr bedroht hatte – wahrscheinlich war da die Wut des Richters mit ihm durchgegangen –, doch es verlieh der Sache zweifellos zusätzlichen Reiz.
Austin lief beim Lesen rot an. Er las den Brief erneut, schüttelte ungläubig den Kopf und warf die Seiten auf den Boden. »Er kommt nach Hause!« knurrte er.
»Sieht ganz so aus.«
»Ich will ihn hier nicht sehen!« brüllte sein Vater.
Charlotte stürmte herein. »Was ist los?« Sie hob die Blätter auf, erkannte den Brief wieder und wandte sich voller Empörung an Rupe.
»Wie konntest du nur? Ich habe ausdrücklich gesagt …«
»Mein Brief!« schrie Austin sie an. »Wie kannst du es wagen, meine Post zu unterschlagen?«
»Es war nur zu deinem Besten. Bitte, Austin, so beruhige dich doch. Du weißt, wie der Richter ist. Er mäkelt ständig an Harry herum. Ich bin sicher, es gibt für alles eine vernünftige Erklärung.«
»Die Sitzungsperiode ist noch nicht zu Ende«, warf Rupe gehässig ein. »Eigentlich sollte er dort sein, statt zu seiner Mutter gelaufen zu kommen.«
»Er ist unser Sohn und hat das Recht, uns die Dinge aus seiner Sicht zu schildern, bevor wir uns ein Urteil bilden. Wahrscheinlich geht es ihm ziemlich schlecht.«
»Er ist nicht mehr mein Sohn!« fauchte Austin. »Ich will ihn hier nicht sehen.«
»Das meinst du doch gar nicht so. Ich hole dir eine Tasse Tee.«
An diesem Abend bestand Austin darauf, daß Victor und Rupe ihm die Pläne zur Aufgliederung Springfields vorlegten, die sich an den neuen Gesetzen orientierten. Er wollte noch einmal die Liste mit den Namen der Familienmitglieder und Strohmänner sehen, die für die Ansprüche auf die besten Weidegründe verwendet werden sollten. Er studierte alles sorgfältig, denn die Liste mußte genau mit den numerierten Grundstücken übereinstimmen. Dann lehnte er sich zurück.
»Streicht Harry durch. Er bekommt nicht einen lumpigen Morgen.«
Rupe war hocherfreut, hielt aber den Kopf gesenkt und gab vor, in die Betrachtung einer der Landkarten vertieft zu sein. Victor hingegen protestierte.
»Das kannst du nicht machen. Wozu sollte es auch gut sein?
Springfield gehört immer noch dir. Wir teilen den Besitz ja nicht wirklich auf, das steht doch nur auf dem Papier.«
Solange er lebt, dachte Rupe. Dann werden wir sehen, wem was gehört.
»Streicht seinen Namen!« wiederholte Austin.
»Das geht nicht. Jeder aus der Familie, auch Louisa und Connie …«
»Streicht Connie auch!«
Victor war außer sich. »Hör mir gefälligst zu! Wir haben die Höchstmenge an Land eingezeichnet, die jeder von uns besitzen darf. Mehr bekommen wir nicht, selbst wenn wir es bezahlen könnten. Wie wir das nötige Geld aufbringen sollen, ist mir ohnehin ein Rätsel. Die äußeren Grundstücke sind auf Strohmänner wie Jack Ballard und andere Viehhüter eingetragen. Ihnen können wir vertrauen. Wenn du aber Harry streichst, müßten wir für ein großes Gebiet einen weiteren Strohmann verwenden, und mir fällt beim besten Willen niemand mehr ein, dem wir rückhaltlos vertrauen können.«
Er wandte sich an Rupe. »Das weißt du doch auch. Sieh mal, hier sind die Grenzen. Dieses Land dort drüben müssen wir nur deshalb abtreten, weil wir keinen weiteren Scheinkäufer zur Verfügung haben, der akzeptieren würde, daß es eigentlich Dad gehört.«
»Es gehört Dad in der Tat«, sagte Rupe.
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