Sterne im Sand
die stark blutenden Wunden an Bauch und Hinterbein mit einem Schwamm aus. Dann legte er ihm das Halfter an und band es an einen Pfosten. »Ich glaube ja nicht, daß du dieses Halfter noch brauchst, alter Junge«, grinste Harry. »Heute nacht bleibst du lieber bei mir, was?«
Er lud vorsichtshalber das Gewehr nach, obwohl ein erneuter Angriff der Dingos unwahrscheinlich war. Dann setzte er sich hin und sah zum östlichen Himmel auf.
Er redete sich ein, er müsse das Pferd bewachen, brauchte in Wirklichkeit jedoch selbst die tröstende Gesellschaft des Tieres.
Allmählich kam ihm die Komik der Situation zu Bewußtsein. »Ich kann mich ja wohl schlecht vor deinen Augen erschießen«, sagte er zu seinem Pferd. »Und von mir wegscheuchen läßt du dich auch nicht. Du würdest nicht einmal weglaufen, wenn ich dir das Halfter abnähme. So wie du nach Blut riechst, hätten dich die Dingos nämlich nach zwei Minuten aufgespürt. Du weißt ganz genau, daß du im Augenblick nur bei mir sicher bist.«
Schließlich traf Harry eine Entscheidung. »Heute ist Freitag. Wir sollten besser nach Hause zurückkehren. Sieht aus, als müßte ich in den sauren Apfel beißen und der Sache ins Gesicht sehen.«
Harry war nun merklich ruhiger, obwohl er durch sein Fernbleiben von der Parlamentssitzung in noch mehr Schwierigkeiten steckte als zuvor. Aus Rücksicht auf die Verletzungen des Tieres ritt er langsam und legte gelegentlich Ruhepausen ein. Unterwegs dachte er darüber nach, was er als nächstes tun sollte. Oder, besser noch, unterlassen sollte. Es hatte einfach keinen Sinn, es jedem recht machen zu wollen, den Ansprüchen von gesellschaftlichem Leben und politischer Karriere zugleich genügen zu wollen. Austin hatte nie ein Geheimnis daraus gemacht, daß er ihn für dumm hielt. Vermutlich hatte er sogar recht damit, denn Victor und Rupe waren beide klüger als er.
Harry hielt an einem ländlichen Pub, bestellte sich ein Pint, aß ein paar eingelegte Zwiebeln und genoß die Anonymität. Niemand hätte in dem unrasierten Buschreiter den Parlamentsabgeordneten Harry Broderick erkannt. Geistesabwesend blätterte er in einer Zeitung, bis der Abdruck des Ergebnisses der Abstimmung über das Gesetz gegen die Zweckentfremdung von Land seine Aufmerksamkeit erregte. Zu seiner Überraschung war es bereits verabschiedet worden. Mit einem leichten Schaudern bemerkte er, daß sein Name auf der Liste fehlte.
Austin wird begeistert sein, dachte er ungerührt. Jetzt hat er endlich einen Grund, um sich aufzuregen. Das wird ihn freuen.
Harry ritt langsam am Fluß entlang. Die Stadt breitete sich immer weiter aus; in beträchtlicher Entfernung vom Zentrum Brisbanes entstanden hier neue Häuser und Straßenzüge. Sein Blick fiel auf ein weitläufiges, häßliches Holzgebäude auf Pfählen ohne schmückendes Gitterwerk, Büsche und Blumen. Lediglich die aufgestellten Schilder waren von einigem Interesse.
Am Tor prangte auf einer großen, schwarzen Tafel die goldene Inschrift: KIRCHE DES HEILIGEN WORTES , darunter die Gottesdienstzeiten von Bischof Frawley.
»Von denen habe ich ja noch nie was gehört«, wunderte sich Harry. Diese Kirche machte auf ihn einen äußerst dubiosen Eindruck. Auf der anderen Seite des Tores stand ein großes Schild mit der Aufschrift: ZU VERKAUFEN . Kopfschüttelnd setzte Harry seinen Weg fort. In letzter Zeit schossen in Brisbane die seltsamsten Religionen wie Pilze aus dem Boden.
»Abwesend? Was soll das heißen?« donnerte Austin los, wobei er seinen Entschluß, ruhiger und damit auch länger zu leben, völlig vergaß.
Rupe fiel auf, daß sich seine Aussprache eindeutig verbessert hatte. »Genau das, was ich gesagt habe. Er war bei der Abstimmung nicht im Parlament. So hat es zumindest in der Zeitung gestanden.«
»Wo war er denn dann?«
»Das weiß keiner so genau.«
Austin sah ihn mißtrauisch an. »Stand das etwa auch in der Zeitung?«
»Nein.«
»Und von wem hast du es dann erfahren?« Beim letzten Wort kam er ins Stolpern und schlug voller Enttäuschung und Wut mit der Faust auf den Tisch.
Rupe zuckte die Achseln. »Richter Walker hat uns einen Brief geschrieben, in dem er sich furchtbar darüber aufregt. Und über ein paar andere Dinge auch.«
»Von welchem Brief redest du da?«
»Sie waren der Ansicht, du solltest ihn besser nicht zu lesen bekommen. Victor und Mum, meine ich. Sie wollten verhindern, daß du dich aufregst.«
»Hol ihn her!« zischte Austin.
Rupe fand den Brief in Victors Büro
Weitere Kostenlose Bücher