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Sterne im Sand

Sterne im Sand

Titel: Sterne im Sand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Shaw
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Kleidungsstücke nacheinander auszuziehen und im ganzen Haus zu verteilen.
    Sie ernährte ihn gut, lehrte ihn geduldig das Essen mit Messer und Gabel, zeigte ihm, wie man auf Stühlen saß. Jagga empfand es als Spiel.
    Der Ärger fing mit den Schuhen und Strümpfen an. Die Kleidung war schlimm genug, doch Jagga konnte es einfach nicht ertragen, wenn seine Füße eingezwängt wurden. Die Strümpfe waren eng und warm, die Schuhe drückten. Das Ankleiden wurde zum tagtäglichen, von Tränen und Drohungen begleiteten Kampf.
    »Laß ihn doch!« sagte der Mann, der das Theater leid war. »Vergiß die Schuhe.«
    »Nein, er muß es lernen«, beharrte die Dame.
    Den Mann fand Jagga nicht weiter schlimm. Er schien die Kleiderfrage für einen Witz zu halten und zwinkerte ihm gelegentlich zu. Manchmal nahm er sich auch Zeit, um dem Jungen englische Wörter beizubringen.
    Er war allerdings oft unterwegs, und im Haus hatte offensichtlich die Dame das Sagen. Auch sie unterrichtete Jagga und half ihm beim Kritzeln auf der Schiefertafel, die ihm bekannt vorkam. Teddy hatte auch so eine besessen.
    Das Schönste an seinem jetzigen Leben waren die Tiere: Er freundete sich mit den beiden Hunden und der Katze an. Die Hunde schliefen in seinem Bett und verwehrten der Katze einen Platz darin, die sich daraufhin schmollend in einem Stuhl zusammenrollte. Es gab auch zwei bunte Papageien in einem Käfig, die sich bei Jagga so lange über ihre Gefangenschaft beschwerten, bis er sie freiließ. Erfreut sah er ihnen nach, als sie davonflogen.
    Die Dame war deswegen so wütend auf ihn, daß sie ihn ohne sein Abendessen zu Bett schickte. Das störte ihn nicht weiter. Diese Leute aßen ohnehin zu oft. Er nahm zu, gewann an Stärke, doch als er das Wort ›Zuhause‹ hörte, das Bobbo so oft gebraucht hatte, begann auch er Fragen zu stellen. Er fragte, wann er heimkehren dürfe. Und die Antwort war immer die gleiche:
    »Das hier ist dein Heim, Jack.«
    Jagga sehnte sich nach seiner eigenen Familie. Er sehnte sich nach Bobbo und Doombie. Er war es leid, den Besuchern in seiner eigenartigen Kleidung vorgeführt zu werden, und an die Stelle von Lächeln und tiefen Dienern trat ein schmollender Gesichtsausdruck. Er machte in die Hose und erhielt eine Ohrfeige. Er rannte davon und versteckte sich, wenn es an der Tür klingelte, so daß ihn die Dame unter dem Bett hervorzerren mußte.
    Die hübsche Dame – sie hieß Mrs. Adam Smith und war die Frau eines Zollinspektors – hatte allmählich genug von dem ungezogenen Bengel, der keinerlei Pflichten erlernen wollte und nicht einmal bereit war, ein Tablett zu den Gästen hinauszutragen. Die Haltung ihres Mannes dazu mißfiel ihr sehr.
    »Ich habe es dir doch gesagt. Er ist kein Spielzeug, sondern ein Kind.«
    Doch sie würde vor ihren Freunden das Gesicht verlieren, wenn sie ihn nun wegschickte, und ertrug daher die Blamage mit aufgesetztem Lächeln. Immerhin lobte man sie für ihre Nächstenliebe.
    Allmählich verlor sie das Interesse daran, ihn herauszuputzen. Da ihr der Junge lästig war, übergab sie ihn der Obhut ihrer Haushälterin, die ihm freundlich begegnete.
    »Ich weiß nicht, wieso er Ihnen leid tut«, sagte Mrs. Adam Smith erzürnt. »Wie viele Waisenkinder haben es schon so gut wie er?«
    »Natürlich haben Sie recht, Madam, aber ich glaube nicht, daß er ein Waisenkind ist. Er sagt immer, er wolle nach Hause zu seiner Mami. Anscheinend heißt sie Nioka.«
    »Ja, und vermutlich ist sie tot. Außerdem wissen wir nicht, wo sein Zuhause ist, oder?« Mrs. Adam Smith hätte es jedoch nur zu gern in Erfahrung gebracht und das Kind seinen Eltern zurückgegeben. Auch dafür würde sie das Lob ihrer Freunde einheimsen.
     
    Obwohl sich in der Ferne dunkle Wolken zusammenbrauten, stellte man in der Hoffnung auf einen frischen Windhauch die Tische unter den zerzausten Pfefferbäumen auf, von wo sich ein schöner Ausblick auf den Fluß bot. An Weihnachten war es immer drückend heiß, das verdorrte Land dürstete nach Regen, und die Sonne stieg bereits über dem breiten Hügelkamm auf.
    Victor blickte hoch und erschauderte. Manchmal wirkte dieser uralte Hügelkamm beinahe arrogant, als verachte er das zerbrechliche menschliche Leben zu seinen Füßen. Heute bedrückte ihn dieser Gedanke noch mehr als sonst. Nach außen hin ging alles seinen gewohnten Gang. Erwartung lag in der Luft, und es sah so aus, als würde das traditionelle Weihnachtsessen glatt über die Bühne gehen. An diesem Tag nahm jeder,

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