Sterne im Sand
der auf der Farm arbeitete, an der Tafel der Brodericks Platz, denn Austin betrachtete sie alle als Familienmitglieder. Trotz Charlottes Protest fehlten jedoch zwei Stammgäste; Austin hatte seinen Bannspruch gegen Harry und Connie nicht aufgehoben.
Charlottes Weihnachtsessen waren berühmt. Die Tische waren mit Leinentüchern gedeckt, die roten und silbernen Tischdekorationen aufgestellt und die Bäume mit bunten Girlanden geschmückt. Handgeschriebene Speisekarten lagen neben kleinen, selbstgefertigten Körbchen mit Süßigkeiten und Nüssen, obwohl das Menü jedes Jahr das gleiche war. Hühnercremesuppe, Fischfilet mit Zitronensauce, Brathähnchen mit gebackenem Gemüse, als Dessert Trifle aus weingetränktem Biskuit und Plumpudding mit Brandysauce.
Lächelnd betrachtete Victor die stilisierte Schrift auf seiner Karte. Charlotte hatte sich große Mühe gegeben, obwohl sie, was selten vorkam, wirklich zornig auf ihren Mann war. Sie hatte sogar hinter seinem Rücken an Harry geschrieben, der nun als Verwalter auf Tirrabee Station arbeitete, und ihn gebeten, dennoch zu kommen. Harry hatte ihnen allen frohe Weihnachten gewünscht und die Einladung mit der Begründung abgelehnt, er wolle keinen weiteren Ärger verursachen. Victor war ihm insgeheim dankbar, denn es hätte sicher Schwierigkeiten gegeben, zumal sich Rupe auf die Seite seines Vaters geschlagen hatte.
»Ich verstehe nicht, wieso du dich so aufregst«, hatte Victor zu ihm gesagt. »Passiert ist passiert.«
»Er hat uns verraten und verkauft«, erwiderte Rupe erbost. »Du bist ein Schwächling, wirst gleich wieder weich. Wir wollen ihn hier nicht haben.«
»Das bin ich nicht. Ich sehe nur nicht ein, was das ganze Theater soll.«
Zu Victors Freude hatte Harry seinen Neffen jedoch nicht vergessen und dem Jungen eine große Holzeisenbahn geschickt. Teddy liebte den rotbemalten Zug und nahm ihn überallhin mit.
Austin war schlechtgelaunt, da er die Schwarzen vermißte.
»Wo stecken sie?« hatte er Victor mehrfach gefragt.
»Ich weiß es nicht.«
»Aber sie mögen Weihnachten doch«, hatte sein Vater mürrisch erwidert. »Sie kennen unseren Kalender zwar nicht, orientieren sich jedoch an den Jahreszeiten und wissen von selbst, wann Weihnachten ist. Sie haben es noch nie verpaßt. Sie sitzen immer im Schatten am Fluß, feiern ihr eigenes Fest, und wir halten besonderes Essen für sie bereit. Wo stecken sie also diesmal?«
»Vermutlich zu weit weg, um rechtzeitig herzukommen«, sagte Victor, damit sein Vater endlich Ruhe gab.
Als Austin an diesem Morgen entdeckte, daß noch immer kein einziger Schwarzer zurückgekehrt war, sank seine Stimmung auf den Nullpunkt. Er schien ihre Abwesenheit als persönliche Beleidigung aufzufassen.
Victor konnte darüber nur den Kopf schütteln. Er würde froh sein, wenn alles vorbei war. Am Fehlen von Harry, Connie und den Aborigines konnte er ohnehin nichts ändern. Er ging zu einer Gruppe von Viehhütern hinüber und half ihnen, ein Bierfaß für ihre durstigen Kollegen aufzustellen.
Selbst hoch im Norden hatte Minnie nicht vergessen, daß Weihnachten war. An diesem Tag war der weiße Geist geboren worden, der jetzt im Himmel lebte. Es war eine fröhliche Zeit, jeder war guter Dinge, was bewies, daß dieser Jesus ein den Menschen wohlgesonnener Geist sein mußte. Als sie sich nun an ihn erinnerte, scheute sie nicht davor zurück, ihn um die Rückkehr ihres Sohnes zu bitten. Sie legte dazu die Handflächen aneinander, wie es die Weißen taten, wenn sie beteten.
Aber er sandte nicht mehr Hilfe als ihre eigenen Geister, die sie bereits mehrfach angerufen hatte. Ihre Schwermut wuchs. Die anderen schien es nicht weiter zu interessieren. Sie waren zufrieden bei dieser neuen Horde und mit dem Leben in dem bewaldeten Tal, das bessere Nahrungsquellen bot als Springfield, wo die Schafzucht die Natur zurückgedrängt hatte. Viele bezweifelten, daß sie je in ihr angestammtes Lager zurückkehren würden. Als Minnie davon erfuhr, erlitt sie einen Anfall und stürzte besinnungslos zu Boden.
Als sie Tage später aus tiefem Schlaf erwachte, nachdem ihr die Frauen eine übelriechende, weiße Flüssigkeit eingeflößt hatten, mußte sie zu alledem noch Niokas Zorn über sich ergehen lassen.
»Du mußt endlich mit diesem Theater aufhören. Alle regen sich darüber auf. Du arbeitest nicht und suchst nicht nach Essen. Du fischst nicht einmal, sondern liegst nur faul herum und bemitleidest dich selbst. Sieh nur, wie fett du geworden
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