Sterne über Cornwall: Roman (German Edition)
Bisher war ihre Google- und Facebook-Suche nach Hannahs Mutter erfolglos verlaufen. Was, wenn Susan nach wie vor nichts mit Hannah zu tun haben wollte? Würde eine Kontaktaufnahme mehr schaden als nutzen? Hatte Hannah die Trennung damals überhaupt richtig mitgekriegt? Was, wenn sie an einer zweiten Zurückweisung durch die Mutter vollends zerbrach?
Maddie verließ die Kirche ohne Antworten. Gott war nicht mehr Teil ihres Lebens, doch ohne ihn gestaltete es sich schwieriger als gedacht. Dies war das härteste Jahr ihres bisherigen Daseins gewesen, alles hatte sich geändert. Sie kickte einen kleinen Stein vom Weg, der vor einem heruntergefallenen Zweig zu liegen kam. Ihn und die anderen auf dem Pfad hatte der heftige Nordwind der vergangenen Nacht herabgerissen.
Der Sturm hatte auch die Wolken weggefegt, die zwischen Weihnachten und Neujahr den Himmel bedeckt hatten. Jetzt war er so leuchtend blau und die Luft so klar und kalt, dass es beim Atmen schmerzte.
Sie hörte, wie die Kirchentür hinter ihr aufging. »Hallo.«
Maddie wandte sich um.
»Frohe Weihnachten«, begrüßte der Geistliche sie.
»Danke.« Er gesellte sich zu ihr. »Ohne mich aufdrängen zu wollen: Haben Sie Probleme? Möchten Sie reden?« Er schwieg kurz. »Ich weiß, dass dies für viele eine schwierige Jahreszeit ist.«
Maddie unterdrückte ein hysterisches Lachen. »Danke, mir geht’s gut.« Das war die größte Lüge, die in letzter Zeit über ihre Lippen gekommen war. Sie trauerte nach wie vor um ihren Mann, stritt sich ständig mit ihrer Stieftochter, die sie hasste, und in ihrem Haus spukte es. Ihr ging es alles andere als gut.
»Freut mich zu hören. Ich weiß, dass Sie neu sind in der Gegend. Da kann alles sehr schwierig sein. Ich bin für Sie da, wenn Sie mich brauchen.«
Woher wusste er, dass sie neu in der Gegend war? An Weihnachten war sie das erste Mal in der Kirche gewesen, und heute hatte sie sie das zweite Mal betreten. Sie glaubte nicht, dass sie ihm sonst schon einmal begegnet war.
»Danke.« Als er sich entfernen wollte, rief sie ihm nach: »Ich hätte da doch noch eine Frage …« Sie wich seinem Blick aus. »Haben Sie Erfahrungen mit Gespenstern?«
»Trevenen ist ein altes Haus.« Er blieb stehen.
Sie nickte. Welcher Teufel hatte sie geritten, ausgerechnet einen Geistlichen über Gespenster zu befragen?
»Ich persönlich glaube nicht daran, aber ganz abtun möchte ich die Möglichkeit, dass es welche gibt, auch nicht. Und da ich aus Cornwall stamme, habe ich, sagen wir mal, einen Hang zum Mystischen.«
Als sie erkannte, dass er sie nicht für verrückt zu halten schien, lächelte sie.
»Sie meinen also, in Trevenen gibt es ein Gespenst?«
»Ich fürchte, ja.« Ihre Füße waren wie gefroren. Das Thema am kältesten Tag des Jahres auf einem Friedhof zu diskutieren war vielleicht nicht die allerintelligenteste Idee gewesen.
»Haben Sie es mit eigenen Augen gesehen, oder hat Ihnen jemand davon erzählt?«
»Ich habe es gehört.« Sie schluckte. Das klang albern, das wusste sie.
»Gehört. Interessant.« Er blickte über die Dächer des Ortes zu den Feldern auf der anderen Seite des Tals hinüber. »Nur Sie?«
»Ja.«
»Von Hannah weiß ich, dass Sie Ihren Mann vor einem Jahr verloren haben.«
Sie nickte. Wann hatte Hannah mit dem Geistlichen gesprochen? »Darf ich fragen, warum das so wichtig ist?«
»Nun, in Zeiten der Trauer sehen oder hören wir oft Dinge.« Er blieb stehen, als eine Frau sich ihnen näherte. »Hallo, Mrs Bates. Ja, ich komme gleich.«
Die Frau entfernte sich. Maddie fragte sich, ob das Keziah Bates war, die sie wegen Daphne kontaktieren sollte.
»Mrs Hollis, ich habe das Gefühl, dass wir für dieses Gespräch ein bisschen mehr Zeit brauchen, und leider werde ich zum Kaffee im Ort erwartet. Möchten Sie mich anrufen?«
Da vibrierte ihr Handy. Maddie nickte. Wollte er andeuten, dass das Gespenst nur in ihrem Kopf existierte? Der Geistliche entfernte sich.
»Hallo?« Sie stampfte mit den Füßen auf den frostharten Boden, um die Blutzirkulation in Gang zu bringen.
»Gutes neues Jahr«, meldete sich Gunnar.
»War Weihnachten schön?«
»Ja. Ich bin gerade zurückgekommen und freue mich über das gute Wetter. Hättest du Lust auf einen Spaziergang am Loe Bar?«
Maddie zögerte. Es war höllisch kalt. »Ja.«
Das lange Stück Strand unter dem Parkplatz war menschenleer. Offenbar bereiteten sich alle auf den bevorstehenden Abend vor und blieben zu Hause im Warmen. Maddie hatte vor,
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