Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne
verkündete er mit schwacher Stimme, räusperte sich und fügte mit mehr Überzeugungskraft hinzu: »Unter einer Bedingung: Allein das Haus meines Bruders wird umstellt. Beit il Tani soll unbehelligt bleiben, um meine Schwestern nicht unnötig in Gefahr zu bringen.«
14
Über den flachen Dächern flirrte die Luft. Erschreckend still war es. Die ganze Stadt verharrte gleichsam in Lauerstellung. Selbst das Meer schien den Atem angehalten zu haben. Nur wer genau hinhörte, nahm das angespannte Murmeln, das Rascheln emsiger Geschäftigkeit wahr, das aus drei eng beieinanderstehenden Häusern drang.
»… keiner kommt hinein oder heraus«, flüsterte Barghash über die kaum mehr als zwei Armlängen breite Gasse herüber.
Shambu’a und Farshu, deren Stadthaus über Eck mit dem von Barghash und Beit il Tani stand, lehnten sich gleichzeitig aus der Fensteröffnung und spähten zwischen den Mauern hindurch.
»Wie viele das wohl sein mögen …«, murmelte Shambu’a, als sie die Soldaten sah, die das der Seeseite zugewandte Portal von Barghashs Haus umstellt hielten. Wie gewöhnlich vollendete ihre fast gleichaltrige Halbschwester Farshu den Gedanken: »… Hunderte ganz gewiss!« Beide sogen scharf die Luft ein.
»Habt ihr genug Nahrung?«, erkundigte sich Chole leise. Beim Aufmarsch der Soldaten hatten alle vor dem Haus versammelten Anhänger Barghashs Einlass begehrt, und er war ihnen gewährt worden. Da Männer der Sitte gemäß keinenZutritt zu den Frauengemächern hatten, herrschte im Rest des Hauses drangvolle Enge.
»Wenn wir sparsam wirtschaften, genug für einige Wochen«, flüsterte Barghash. »Allein das Wasser wird uns knapp, und was wir haben, ist bereits brackig, taugt nur noch zum Waschen und zum Kochen.«
Beklommen dachte Salima, die neben Chole am Fenster von Beit il Tani stand, an ihren kleinen Halbbruder Abd’ul Aziz, der sich bei Barghash aufgehalten hatte, als die Soldaten vor dem Haus Stellung bezogen hatten, und nun mit eingeschlossen war.
»Vielleicht«, gab sie vorsichtig zu bedenken, »wäre es in der Tat besser, wir würden aufgeben, bevor – «
»Niemals!« Barghashs Stimme trug ein gefährliches Schwingen in sich, wie das Sirren einer Klinge. Und wie um seiner Entschlossenheit noch stärkeren Nachdruck zu verleihen, trat er von der Fensteröffnung zurück und verschwand im Inneren des belagerten Hauses.
»Wir müssen sehen, dass wir Wasser hinüberschaffen«, erklärte Chole mit zerfurchter Stirn. »Am besten wäre gleich ein ganz neues Quartier für Barghash und seine Männer.«
»Marseille?«, schlug Salima halbherzig vor.
Choles Miene hellte sich auf. Sie umfasste das Gesicht ihrer Schwester mit beiden Händen und drückte ihr einen schmatzenden Kuss auf die Stirn. »Mein kluges Schwesterchen! Komm gleich mit mir, Briefe schreiben! Wir müssen die Oberhäupter der anderen Sippen verständigen, Munition und Pulver nach Marseille bringen lassen und noch mehr Vorräte, und …«
In aller Eile wurde Segeltuch besorgt, in Bahnen zugeschnitten und von Dutzenden emsiger Frauenhände in Windeseile zu einem langen Schlauch vernäht. Im Schutz derDunkelheit vom Dach Beit il Tanis auf das gegenüberliegende Dach geworfen, leitete es krugweise das kostbare Nass hinüber, füllte dort Töpfe und Becken. Säcke mit Reis und Mehl, Butterkrüge und Körbe voller Dörrobst, schließlich Schwarzpulver, Patronen und Gewehre wurden in der Nacht heimlich nach Marseille geschafft. Jeder Schritt, jeder Handgriff glich einem Gang über Messers Schneide, denn jeden Augenblick konnten die Soldaten des Sultans etwas bemerken und von ihren Waffen Gebrauch machen.
»Nun muss Barghash nur einen Weg finden, sich aus dem Haus zu stehlen«, murmelte Chole und unterdrückte ein Gähnen, ließ sich ermattet neben ihrer jüngeren Schwester auf die Polster fallen. »Sonst war all die Mühe der letzten Wochen vergebens.«
Die letzte Ladung an Gütern war soeben auf den Weg gebracht worden – sogar das Gewehr, das Salima für alle Fälle im Haus hatte behalten wollen. Die Lagerräume Beit il Tanis standen leer, und Marseille war mit allem ausgestattet, um selbst einer längeren Belagerung standhalten zu können. Alles war bereit.
Salima stützte die Ellenbogen auf die angezogenen Knie und ließ müde die Stirn in den Handflächen ruhen. Die Anspannung der letzten Tage, die heimlichen Tätigkeiten bei Nacht hatten ihnen kaum Zeit gelassen zum Schlafen oder zum Essen. Ihr Kopf fühlte sich leicht an, leicht und
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