Sterne über Tauranga - Laureen, A: Sterne über Tauranga
gleichzutun. Nachdem sich Stirn und Nasen der beiden Frauen kurz berührt hatten, richtete sich Moana wieder auf.
»Ariki mit dir sprechen. Du machen powhiri. «
Ariki? War das ein Gott oder ein Dorfbewohner? Doch Ricarda hatte keine Zeit, der Frage nachzugehen. Auf dem kainga wurden sie nun von den Dorfbewohnern umringt. Die Männer trugen allesamt Baströcke und Federschmuck. Ihre Gesichter waren zur Hälfte oder sogar ganz tätowiert, und in den Händen hielten sie federgeschmückte Speere, als zögen sie in den Kampf. Die Frauen hielten sich ein wenig im Hintergrund. Auch sie trugen Baströcke und waren mit Blumen geschmückt. Ricarda entdeckte unter ihnen Schönheiten, die Maler auf der ganzen Welt sicher liebend gern auf die Leinwand gebannt hätten.
Besonders die Frauen und Mädchen musterten sie eindringlich. Auch die Männer sahen sie an, aber ihre Mienen wirkten gleichgültig.
Schließlich erschien ein Mann in einem Mantel, der auf den ersten Blick aus einem weichen Fell zu bestehen schien. Bei näherem Hinsehen erkannte Ricarda, dass er aus Federn gefertigt war. Sein Träger war gewiss der Häuptling.
Er musterte Ricarda und Jack, dann griff er nach seinem Speer. Damit führte er eine Drohgebärde aus und streckte die Zunge so weit heraus, dass er den Figuren am Versammlungshaus verblüffend ähnlich sah. Anschließend schleuderte er einen Zweig in Ricardas Richtung.
Mit klopfendem Herzen hob sie ihn auf und blickte dem Häuptling direkt in die Augen. Die bernsteinfarbenen Iris verliehen ihm etwas Unheimliches.
Nachdem Ricarda die Probe der Furchtlosigkeit bestanden hatte, fragte der ariki sie etwas, was sie nicht verstand. Jack bat sie, dem Häuptling ihr Meer und ihren Berg zu nennen.
Deutschland ist nicht mehr meine Heimat, dachte Ricarda und antwortete deshalb: »Pazifik und Mount Maunganui.«
Die Maori lachten.
Habe ich etwas Falsches gesagt?, fragte sich Ricarda erschrocken, doch der Häuptling nickte freundlich und zog sich zurück.
»Diesen Teil hätten Sie geschafft«, flüsterte Jack von der Seite. »Jetzt bleiben Sie einfach stehen, und lauschen Sie den Gesängen.«
Ricarda war überwältigt von der Tonvielfalt, die bei diesen Liedern zum Tragen kam. Der Gedanke, dass diese Weisen schon seit vielen Jahrhunderten gesungen und von Generation zu Generation tradiert wurden, verursachte ihr eine Gänsehaut. Schon nach wenigen Augenblicken fühlte sie sich wie in Trance. Sie konnte sich gut vorstellen, warum die ersten Entdecker geglaubt hatten, das hier sei das Paradies.
Nachdem das powhiri beendet war, folgten Jack und Ricarda den anderen ins Versammlungshaus. Das Innere des marae war mit Blüten geschmückt, die Ricarda auf ihren Wanderungen gesehen hatte. Entgegen ihrer Vermutung wurde hier das Festmahl allerdings nicht eingenommen. Es lagen zwar Kissen bereit, aber in dieser Runde sollte nur gesungen und den Göttern gedankt werden.
Diesmal beeindruckten die Gesänge Ricarda noch stärker. Der Raum verschwamm vor ihren Augen, und eine seltsame Leichtigkeit überkam sie, die erst von ihr abfiel, als die Sänger verstummten.
Zum Essen begaben sich alle Anwesenden in ein anderes Gebäude.
»Dieses Haus dient als Speisesaal«, erklärte Jack ihr leise. »Im Versammlungshaus zu essen würde den Ort entweihen.«
Auch dieser Raum war mit frischen Blüten geschmückt. Die Speisen, die in dessen Mitte auf großen Blättern angerichtet waren, verströmten einen herrlichen Duft und erschienen Ricarda ebenso farbenfroh wie exotisch. Teller und Besteck suchte man hier vergebens. Das Essen wurde mit der Hand eingenommen. Das hua whenua kannte Ricarda bereits, ebenso die Süßkartoffel, die hier kumara genannt wurde. Bei den anderen Gerichten konnte sie nur raten, worum es sich handelte.
»Was sind das für Vögel?«, fragte Ricarda und deutete auf das Geflügel, das Tauben ähnelte.
»Muttonbirds«, antwortete Jack. »Die Maori sammeln und braten sie. Sie sind überaus köstlich.«
»Sie sammeln sie?«
»Ja, sie nehmen die Jungen aus den Nestern, bevor sie flugfähig sind.«
»Aber dann sind sie ja völlig wehrlos!«, empörte Ricarda sich.
»Das sind die Lämmer, Kälber und Hühner, die wir essen, doch auch«, gab Jack zu bedenken. »Wenn die Maori die Vögel nicht einsammeln, werden sie die Beute von wilden Tieren. Probieren Sie mal, sie sind gut.«
Jack nahm einen der auf ein Holzstäbchen aufgespießten Vögel und reichte ihn an Ricarda weiter. Als sie noch immer zögerte, fügte
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