Sterne über Tauranga - Laureen, A: Sterne über Tauranga
verlangsamte Ricarda nicht. Wer weiß, wie lange das Mädchen schon auf uns gewartet hat. Hoffentlich ist es nicht bereits zu spät.
Am kainga saß Ricarda ab und folgte dem Mädchen in Moanas Hütte. Begrüßungsrituale gab es diesmal nicht.
Die Kreißende war von einigen Frauen umringt, die hilflos die rituellen Gesänge angestimmt hatten.
Ricarda machte sich unverzüglich an die Untersuchung. Eine Steißlage! Kein Wunder, dass das Kind nicht kommen wollte. Ein Blick auf die werdende Mutter sagte ihr, dass diese am Ende ihrer Kräfte war. Auch das Fruchtwasser war weitgehend abgegangen. Wenn sie nicht schnell handelte, würden beide sterben, Taiko und das Kind.
Während sie sich ihrer Arzttasche zuwandte, erwog Ricarda ihre Möglichkeiten. Sie konnte versuchen, das Kind im Mutterleib zu drehen, aber dazu blieb kaum noch Zeit. Die andere Option war weitaus gefährlicher, aber dennoch erschien sie Ricarda als die einzig richtige. Wenn ich den Schnitt schnell setze und möglichst klein mache, hält sich der Blutverlust vielleicht in Maßen, dachte sie und holte Skalpell, Nadel und Faden hervor. Aber bevor sie anfing, musste das Mädchen betäubt werden. Gewiss kannten die Maori Rauschdrogen, die ähnlich wirkten wie Morphium.
»Moana, hast du rongoa, damit Taiko einschläft?«, wandte sie sich an die Heilerin. »Ich muss ihren Bauch aufschneiden, um das Kind zu holen.« Sie verdeutlichte ihre Worte mit einer anschaulichen Geste.
Moana blickte sie erschrocken an, bejahte jedoch.
Die anderen Frauen sahen Ricarda furchtsam an. Auch sie hatten verstanden, was sie plante. Am liebsten hätte sie sie aus der Hütte geschickt, aber das wäre wohl unhöflich gewesen.
Nachdem Moana der Gebärenden ein paar Blätter unter die Zunge gelegt hatte, desinfizierte Ricarda ihre Instrumente, untersuchte noch einmal den Bauch der Frau und kontrollierte den Muttermund.
Die Heilerin sprach mit Taiko, bis ihre Antworten schleppend kamen und ihr Blick sich in der Ferne verlor. »Papa und rangi dir helfen«, erklärte Moana.
Ricarda deutete es als Aufforderung anzufangen. Selten war sie so nervös gewesen wie in diesem Augenblick. Ihr Herz schien gegen den Brustkorb zu donnern, sodass sie sich ganz beklommen fühlte, ihre Kehle war trocken, und ihre Schläfen pochten vor Anspannung. Sie rieb sich die kalten Hände und flehte stumm, die Götter mögen ihr gewogen sein.
Sie atmete einmal tief durch, kontrollierte Taikos Pupillen und griff nach dem Skalpell. Mit zwei Fingern spannte sie die Haut oberhalb der Scham des Mädchens. Gott steh mir bei!, betete sie und setzte den ersten Schnitt.
In den folgenden Minuten kämpfte sie wie nie zuvor mit ihrer Angst, während sie sich die Seiten ihres Lehrbuches wieder vor Augen führte, in denen der Kaiserschnitt beschrieben wurde. Hautschicht um Hautschicht durchtrennte sie, bis sie schließlich die Gebärmutter erreicht hatte.
Du willst das Kind und die Mutter retten, beschwor sie sich. Du darfst nicht versagen! Blut floss über ihre Hände und auf ihren Rock, doch das bemerkte sie nicht. Das Pochen in ihren Adern ignorierend, konzentrierte Ricarda sich ganz auf den Eingriff.
Die Drogen, die Moana Taiko eingeflößt hatten, wirkten offenbar recht gut, wenngleich sie das Schmerzempfinden nicht vollständig blockieren konnten. Die Schwangere stöhnte.
Ich muss mich beeilen!, dachte Ricarda. Schließlich schaffte sie es, die Hand in die Gebärmutter zu schieben und den Kopf des Kindes zu fassen. Vorsichtig, aber dennoch zügig zog sie es hervor.
Ein Mädchen! Eine neue Tochter Tanes.
Aber es war ganz blau! Großer Gott, nein! Das darf nicht sein. Eilig legte sie die Atemwege des Neugeborenen frei. Sie klopfte ihm auf den Rücken, doch noch immer atmete es nicht. Ganz vorsichtig blies sie ihm Atem in die Nase. Die Wunde!, ging ihr dabei durch den Kopf. Du musst die Wunde schließen, sonst verblutet Taiko.
Da hustete das Kind. Mit einem lauten Schrei tat es seinen ersten Atemzug. Seine blaue Farbe hellte sich auf und wurde schließlich krebsrot, als das Mädchen aus Leibeskräften schrie.
Ein bewunderndes Raunen ging durch den Raum, und Ricarda schluchzte vor Erleichterung auf. Aber dann besann sie sich wieder auf die Wunde. Sie durchtrennte die Nabelschnur und reichte den Säugling an Moana weiter. Nachdem sie die Nachgeburt entfernt hatte, verschloss sie die Wunde Schicht für Schicht. Als sie den letzten Stich der Naht gesetzt und sich vergewissert hatte, dass der Puls der Mutter
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