Sterne über Tauranga - Laureen, A: Sterne über Tauranga
Mutter ein wenig gelöster wirkte. Aber wahrscheinlich würde sie ihrer Tochter erst dann wieder unbeschwert gegenübertreten, wenn ein Ehering an deren Finger steckte.
»Hast du heute Weihnachtseinkäufe getätigt?«, wollte sie wissen, um wenigstens etwas Konversation zu betreiben.
»Ja, ein paar.«
»Du warst aber ziemlich lange fort.«
»Ich hatte mir etwas in den Kopf gesetzt, was ich partout nicht finden konnte.«
»Du hättest mich fragen sollen. Ich kenne so manches Geschäft, das einfachen Kreisen nicht bekannt ist.«
Das glaubte Ricarda ihr sofort. Die Spitze in den Worten ihrer Mutter war ihr ebenfalls nicht entgangen. Susanne Bensdorf war der festen Überzeugung, dass ihre Tochter schon zu lange in den »einfachen Kreisen« verkehrt hatte.
Den aufkeimenden Ärger unterdrückend, lächelte Ricarda. »Dann wäre es doch keine Überraschung mehr gewesen.«
»Da magst du Recht haben.«
Ricarda spürte den prüfenden Blick der Mutter, ließ sich jedoch nichts anmerken, obwohl sie sich wie ein Heißluftballon fühlte, der zu platzen drohte. Dies war - für wie lange wohl? - ihr letzter Abend im Elternhaus, und sie durfte ihn nicht verderben, schon um der Erinnerungen willen. Ricarda schluckte trocken. Eine lähmende Angst befiel sie, und ihr wurde plötzlich eiskalt. Ob sie ihre Eltern jemals wiedersehen würde? Sie musste sich zusammenreißen. Ihre Mutter durfte keinesfalls merken, was in ihr vorging. Ricarda zwang sich zur Ruhe, aß langsam und antwortete ihrer Mutter nur einsilbig, fürchtete sie doch, ihre Stimme könne sie verraten.
Nach dem Essen bat Ricarda Rosa, ihr Kaffee aufs Zimmer zu bringen. Das war nicht ungewöhnlich, denn als Studentin hatte sie sich das des Öfteren gewünscht, wenn sie spätabends noch lernen wollte.
Diesmal jedoch setzte sie sich an den Schreibtisch, um einen Abschiedsbrief zu verfassen. Lange starrte sie auf das leere Blatt, während viele schöne Stunden ihrer Kindheit und Jugend vor ihrem inneren Auge erstanden. Sie würde ihren Eltern eine große Enttäuschung und einen tiefen Schmerz bereiten. Ricarda seufzte. Auch sie würde ihre Eltern vermissen. Aber ihr blieb keine andere Wahl. Es musste ja kein Abschied für immer sein. Entschlossen tauchte sie den Federhalter in die Tinte. Ihr Brief fiel kurz aus. Sie schrieb ihren Eltern lediglich, dass sie in Neuseeland ihr Glück versuchen wolle, und dankte ihnen für alles, was sie für ihre Tochter getan hatten.
Sie schob das zusammengefaltete Blatt Papier in einen der feinsten Umschläge, den sie in der Schublade fand. Dann wandte sie sich mit klopfendem Herzen ihrem Bett zu und zog den Koffer darunter hervor.
Ihre Wangen glühten und ihre Hände zitterten vor Aufregung, als sie Unterwäsche, Bücher, Schreibzeug und Papier, einige Kladden und ihr Diplom darin verstaute. Zuoberst legte sie den Kasten mit ihrem Stethoskop. Es würde sie an den Vater von früher erinnern, der sie gefördert und ihr dieses teure Instrument gekauft hatte, und sie stets ermahnen, ihr Lebensziel nicht aus den Augen zu verlieren.
Es gab noch mehr, was ihr lieb und teuer war, aber Ricarda beschloss, es zurückzulassen. »Mit leichtem Gepäck geht es sich leichter durchs Leben« - diesen weisen Spruch hatte sie vor Jahren gehört und sich zu eigen gemacht.
Als alles bereit war und sie das silbergraue Kostüm angezogen hatte, streckte sie sich auf dem Bett aus. Die Luft um sie herum schien zu flirren. Die Standuhr ließ die Zeit mit beständigem Pendelschwung verrinnen. Das Ticken übertönte ihre Atemzüge und das Pochen ihres Herzens. Die Decke schmiegte sich weich an ihren Rücken. Der Geruch des Kaffees waberte noch immer durch den Raum. Die Geräusche des Hauses waren jetzt, um Viertel nach zwei, verklungen.
Ricarda nahm all diese Eindrücke in sich auf und versuchte sich ihre neue Heimat vorzustellen. Goldenes Licht, atemberaubende Landschaften und die Freiheit. Ob diese Hoffnungen nicht zu schön waren, um wahr zu werden?
Als die Zeiger auf vier Uhr rückten, erhob sich Ricarda. Sie warf einen letzten prüfenden Blick in den Spiegel, richtete ihr Kostüm und zog Handschuhe und Mantel über. Auf eine Kopfbedeckung verzichtete sie; Hüte hatte sie noch nie gern getragen. Sie hatte ihr Haar im Nacken zusammengesteckt, was etwas streng wirkte, aber sie hatte nicht vor, auf der Reise das Herz eines Mannes zu gewinnen. Mit dem Koffer in der Hand schlich sie sich schließlich aus dem Haus.
Der Morgen war noch fern, die Stadt lag in
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