Sterne über Tauranga - Laureen, A: Sterne über Tauranga
einen Bekannten, der ebenfalls Deutscher ist. Er lebt schon seit einiger Zeit hier, vielleicht sollte ich Sie mal miteinander bekannt machen.«
Ricarda hatte ihn wohl fragend angeschaut, denn er setzte schnell hinzu: »Natürlich nicht, um Sie zu verkuppeln. Er hat eine Frau und zwei Töchter. Aber vielleicht haben Sie irgendwann das Bedürfnis, sich in Ihrer Muttersprache zu unterhalten. Wenngleich ich zugeben muss, dass Sie sehr gut Englisch sprechen.«
»Auf dem Gymnasium, das ich besucht habe, wurde Englisch gelehrt. Und während des Studiums hatten wir britische Gastdozenten. Außerdem habe ich gerade mehr als einen Monat auf einem Schiff verbracht, dessen Besatzung fast ausnahmslos Engländer waren. Da hört man sich mit der Zeit ein.«
Als sie geendet hatte, spürte sie, dass sein Blick noch immer auf ihrem Gesicht ruhte. Ricarda wurde unbehaglich zumute.
»Haben Sie schon immer hier gelebt?«, fragte sie schließlich, um dem Anstarren ein Ende zu bereiten. Wenn er schon etwas über sie wusste, wollte sie auch etwas über ihn erfahren.
»Ja, ich bin sogar hier geboren. Aber falls Sie auf meinen Nachnamen anspielen, der ist italienisch. Mein Vater war Italiener, meine Mutter Engländerin. Ich habe beide Sprachen gelernt, aber in keiner den richtigen Akzent, fürchte ich.«
»Ich finde, Sie sprechen sehr verständlich. Und der Akzent gibt Ihnen etwas ... Außergewöhnliches.«
Wieder betrachtete er sie, sodass Ricarda ihre Komplimente bereute. Was sollte er von ihr denken? Dass sie sich ihm an den Hals werfen wollte?
Manzoni reagiere mit einem Lächeln darauf. »Danke, ich höre öfter, dass ich nicht so bin wie andere. Und darauf bin ich stolz, das können Sie mir glauben.«
Ricarda fiel auf, wie gut er aussah, wenn er lächelte. Gleichzeitig schalt sie sich für diese Beobachtung. Ich werde Mutters strenge Erziehung bestimmt nie ganz ablegen, dachte sie mit einem Anflug von Wehmut.
Als der Wagen durch ein weit geöffnetes Portal in einen Park einbog, verscheuchte Ricarda die Gedanken an ihre Mutter. Neugierig betrachtete sie das zweistöckige Gebäude, das sich am Ende eines Schotterwegs erhob und so gar nicht ihren Vorstellungen von einem Spital entsprach. Der weiße Anstrich blätterte ab und gab den Blick auf Holzbalken frei.
Manzoni fuhr bis zur Treppe einer großen Veranda. Früher mochte es in dem Rondell in der Mitte davor einmal Blumen gegeben haben, doch nun welkte dort nur spärliches Gras.
»Würden Sie mir helfen, Miss Cooper ins Haus zu tragen?«
»Aber sicher doch.« Schon sprang er auf die Ladefläche des Wagens. Dann half er Ricarda herüber. Da sie wusste, dass sie ihre Arzttasche nicht mitnehmen konnte, hängte sie sich ihr Stethoskop gleich um. Dann wandte sie sich ihrer Patientin zu.
Emma war noch immer bei Bewusstsein, wirkte aber matt. Blut war nicht mehr aus ihrem Mund gelaufen, dafür hörte sich ihr Atem seltsam an. Hatte eine gebrochene Rippe die Lunge verletzt?
So vorsichtig wie möglich hoben Manzoni und Ricarda die Verletzte vom Wagen.
Kaum hatten sie einen streng nach Karbol riechenden Flur betreten, stürzten ihnen zwei Krankenschwestern entgegen.
»Was ist passiert?«, fragte die ältere mit französischem Akzent.
»Die Frau ist von einem Pferd überrannt worden. Ist irgendein Kollege anwesend?«
Beide Schwestern blickten erstaunt drein.
»Ich bin Doktor Ricarda Bensdorf. Bitte, rufen Sie einen der Ärzte!«
»Es gibt nur einen, und der ist gerade außer Haus.«
Ricarda fragte sich, wie man ein Hospital führen konnte, wenn es nur einen Arzt gab. Entweder waren die Menschen hier besonders robust oder der Mediziner ein Zauberer.
»Dann werde ich die Frau einweisen und die Erstversorgung sicherstellen«, sagte Ricarda kurz entschlossen. »Bitte führen Sie mich ins Untersuchungszimmer!«
»Aber dazu sind Sie nicht befugt!«, fuhr die Französin sie an.
»Dessen bin ich mir bewusst!«, entgegnete Ricarda. »Aber es besteht ein Verdacht auf innere Blutungen. Sie wollen sich doch nicht den Tod eines Menschen auf ihr Gewissen laden, oder?« Ricardas Ton war scharf geworden.
Ihr Gegenüber sah sie so entsetzt an, als hätte sie ihr eine Ohrfeige verpasst.
»Nun machen Sie schon, Schwester!«, sagte Manzoni, der die Verletzte jetzt ganz auf seine Arme gehoben hatte. »Ich weiß nicht, wie lange ich sie noch halten kann.«
Die Züge der Angesprochenen verhärteten sich. »Gut, kommen Sie mit!«
Sie wandte sich um und lief mit abgehackt wirkenden Schritten zu
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