Sterne über Tauranga - Laureen, A: Sterne über Tauranga
abends. Er sei herzlichst eingeladen. Diese Nachricht erfreute und enttäuschte ihn gleichermaßen.
Was hast du denn erwartet?, fragte er sich und rief sich gleich wieder zur Vernunft. Dass sie dir einen Liebesbrief schickt?
Die Antwort erwartete sie bis zum 20. April. Jack strich sanft über das Papier und lächelte. Immerhin etwas Erfreuliches in diesen Tagen, dachte er. Nach all der Aufregung der vergangenen Zeit wird es mir guttun, in der Gesellschaft angenehmer Menschen zu sein.
4
Bordens Drohung hing wie eine Gewitterwolke über Ricarda. Bisher hatte sich nichts gerührt. Ob das etwas Gutes oder Schlechtes zu bedeuten hatte? Bestimmt plante der Bordellbesitzer, seine Kunden gegen sie aufzuhetzen. Vielleicht wollte er ihr sogar auflauern und ihr eine Tracht Prügel verpassen. Die meisten Männer besaßen zwar genug Ehrgefühl, um nicht die Hand gegen eine Frau zu erheben, aber dass Borden zu ihnen gehörte, erschien ihr zweifelhaft. Wer Frauen versklavte, und nichts anderes tat er in Ricardas Augen in seinem Etablissement, besaß gewiss auch keine Skrupel, sie zu schlagen. Sie vermied es fortan, auf ihren Spaziergängen an seinem Haus vorbeizugehen.
Vermutlich war es ja lächerlich, dass sie Angst hatte. Vielleicht hätte sie sich auch der Polizei anvertrauen sollen. Die Constables von Tauranga waren hilfsbereit und freundlich. Doch was sollten die unternehmen, solange Borden es bei Drohungen beließ?
Ich könnte mich an Jack Manzoni wenden und ihn um Hilfe bitten, überlegte Ricarda. Er kennt nahezu jeden in der Stadt und weiß bestimmt einzuschätzen, ob ich Bordens Drohungen ernst nehmen muss. Aber er hatte sich nun schon seit geraumer Zeit auf seiner Farm vergraben, und obgleich sie durch Herumfragen längst herausgefunden hatte, wo die lag, verbot der Stolz ihr, das zu tun. Nein, sie würde die Sache allein durchstehen! Ist es nicht das, was du immer wolltest?, ermahnte sie sich. Schwierige Situationen allein meistern, vor allem ohne die Hilfe eines Mannes? Hätte sie es anders gewollt, hätte sie auch gleich in Berlin bleiben können.
Außerdem musste sich auch Borden an das Gesetz halten. Sicherheitshalber trug Ricarda allerdings seit dem Vorfall mit Borden ein Skalpell im Korsett versteckt. Sollte der Kerl sie anrühren, das schwor sie sich, würde sie ihm schneller die Hand amputieren, als der Chirurg Robert Liston es je fertigbrächte, der für seine Schnelligkeit berühmt war.
Ricarda seufzte. Zu allem Übel hatte das monatliche Unwohlsein bei ihr eingesetzt. Verdrossen bemerkte sie einen Blutfleck auf dem Bettlaken und zog es ab. Zu den Schmerzen im Unterleib gesellten sich auch regelmäßig Kopfschmerzen, die ihr heute Morgen besonders zusetzten. Dennoch war das kein Grund, der Arbeit fernzubleiben.
Kurz vor Mittag erschien Mary Cantrell in der Praxis.
»Meine Gratulation«, sagte sie und neigte anerkennend den Kopf. »Wie ich gehört habe, haben Sie bereits viele Patienten.«
Ricarda bedankte sich artig und fragte sich insgeheim, was wohl der eigentliche Grund für Marys Besuch sei. Sie musste nicht lange rätseln.
»Man hört aber auch, dass es Probleme geben soll.«
Mrs Brisby, dachte Ricarda. Wahrscheinlich gehört sie auch zum Frauenverein.
»Borden hat es nicht gepasst, dass ich ihm ans Herz gelegt habe, seine Mädchen untersuchen zu lassen.«
»Sie waren bei ihm?« Mary setzte sich auf den Rand der Untersuchungsliege.
Ricarda schüttelte den Kopf. »Nein, nach dem ersten Zusammentreffen hätte ich gewiss nicht das Bedürfnis gehabt, noch einmal dort aufzutauchen. Ich hatte eine Patientin mit Gonorrhoe. Sie wissen, was das ist?«
»Ja, leider.« Mary lächelte breit, was Ricarda zum Lachen brachte.
»Nun, wie dem auch sei, ich vermutete, dass der Ehemann dieser Patientin ins Freudenhaus geht.«
»Durchaus möglich. Beinahe jeder Mann in dieser Stadt war schon dort.«
»Besagter Mann hat Borden offenbar wegen des Mädchens zur Rede gestellt, mit dem er zusammen war«, fuhr Ricarda fort. »Wie ich Borden kenne, hat der ihm die Tür gewiesen; worauf der Brüskierte überall herumerzählt hat, dass die Freudenmädchen den Tripper hätten. Jedenfalls sind die Kunden schlagartig weggeblieben.«
»Und bei seinem Gespräch mit Borden hat er sich auf Sie bezogen, nehme ich an.« Mary atmete tief durch, und Ricarda meinte, einen Anflug von Besorgnis auf ihrem Gesicht zu erkennen.
»Ja, ich denke schon. Immerhin behandele ich ihn und seine Frau seit kurzem.« Ricarda zögerte
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