Sternendieb - Roman
werden wie die.
> Ich wünschte, die Léonor würde wieder auftauchen. Dann könntest du sie springen sehen. Auch für Marco wünschte ich es mir, aber aus einem anderen Grund. Er würde mich nerven, das Schiff ins Schlepptau zu nehmen, um es irgendeinem Unternehmer auf Titan anzudrehen.
> Hattest du den Namen gesehen, oder war ich das?
> ICH WAR DAS. UND DU HAST GESAGT, DU HÄTTEST IHN NOCH NIE GEHÖRT.
> Ich habe alles abgerufen, was wir an Aufzeichnungen hatten, dann fiel mir ein, was Tricarico erzählt hatte - dass die Léonor dazu verdammt war, auf immer den Abgrund des Hyperraums zu überqueren, ohne jemals irgendwo anzukommen.
> Hier, hör zu. Der Abschnitt ist klasse.
> »Dort in jener Kluft zwischen Raum und Zeit, wo es keine Vergangenheit, keine Gegenwart und keine Zukunft gibt, da döst sie vor
sich hin. Ihre Triebwerke sind aktiv, ihre Energiezellen randvoll, und dennoch: Nichts vibriert, nichts summt, nichts glüht.
> An jedem subjektiven Tag versammelt sich die fünfzehnköpfige Besatzung dreimal zum Essen. Es gibt immer die gleiche Mahlzeit. So speisen sie schon immer und werden es immer wieder tun. Jeder einzelne der abgehärmten Raumfahrer meidet die Augen des Nachbarn und bildet sich ein, er leide ganz besonders unter dieser unbeschreiblichen Gefangenschaft. Seit wann waren sie hier eingekerkert? Seit heute? Oder schon immer? Alle Lampen in der Kantine, die über dem Tisch und die an den Wänden, sind blind. Das Essen ist kalt. Der Navigator will seine Pfeife entzünden und kann es nicht. Er wollte das schon immer und konnte es nie. Nichts will brennen, kein Funke verlässt den Quarz.
> Die Leute wollen einander ihre Angst nicht zeigen, singen raue Raumfahrerlieder und schlagen auf dem Tisch den Takt. Einer bleibt stecken, weil er die Worte vergessen hat, und die anderen lachen. Gestern ist er auch stecken geblieben, an derselben Stelle, auch vorgestern und vorvorgestern, an jedem Tag seit dreißig Jahren. Die Gesänge geraten immer holpriger, immer halbherziger. Die Leute spitzen die Ohren. Oben auf der Brücke unterhält sich ihr Kapitän mit dem einzigen Passagier, dem jungen Tibor, dem Sohn des Eigners. Sie schnappen ein paar gemurmelte Worte auf, den ein oder anderen Satzfetzen, der zu ihnen herunterdringt.
> »… spektrale Lückenbüßer …«
> »… kann einfach nicht sein. Unmöglich.«
> »… Stabilisatoren. Keine Reaktion.«
> Raumfahrer sind abergläubisch. Für einige ist das hier der erste Sprung. Ihnen ist diese Region aus fahler Düsternis und geronnenem Quecksilber nicht geheuer. Auch nicht das angespannte, geflüsterte Gespräch zwischen Lipspeck Junior und Kapitän Naum. Sie argwöhnen, dass mit dem Schiff nicht alles so ist, wie
es sein sollte. Binnen einer Minute wird man den Bootsmann auf die Brücke rufen. Man wird ihm die Lage erläutern. Man wird Order geben. In ein, zwei Minuten wird man allen Scharfsinn und alle Technik daransetzen, die Krise zu meistern, und alles wird wieder im Lot sein. Das alles ist nur eine Frage der Anstrengung und des Know-how.
> Und der Zeit. Denn auf der Léonor Casares ist eine Minute so lang wie die Ewigkeit.«
40
Der Cherub hielt sich bedeckt. Während Tabea die Systeme wieder in Gang brachte, hielten sie ständig nach ihm Ausschau, probierten alle möglichen Frequenzen durch. Sie versuchten es immer wieder. Umsonst. Sie harrten so lange im Halbschatten des stockfinstren Piratenschiffs aus, wie sie es für ratsam hielten. Vergebens. Der Cherub hatte »Gute Nacht« geraunt, und vielleicht waren das seine letzten Worte gewesen.
Irgendwo hatte Xtaska eine technische Vagina für ihren trickreichen Schwanz aufgetan, von außen mit der Elektronik koitiert und einen Riesenkurzschluss provoziert. Sie hatte die Nackte Wahrheit dazu verdammt, aufs Geratewohl finster und hilflos durch die interplanetaren Gefilde zu driften, und sie selbst ging dabei wohl oder übel mit auf die Reise.
Um keine unnötigen Gefahren heraufzubeschwören, nahmen sie übereinstimmend davon Abstand, über das Piratenschiff zu kriechen, um nach Xtaskas Körper zu fahnden. Eine Leiche, dachte und behielt Tabea für sich, war genug. Sie lud das Primärsystem auf und setzte die Alice ganz langsam Bug voran in Bewegung, fort aus dem bedrohlichen Bann des leblosen Schiffes. Mit Minimalschub schlichen
sie sich aus seinem Schatten, ließen das Schiff und seine glotzäugige, grinsende Galionsfigur immer weiter hinter sich zurück. Dieses Schiff würde langsam aber
Weitere Kostenlose Bücher