Sternendieb - Roman
sind da«, sagte Marco. »Hier arbeitet Hannah.«
Tabea sah die düster feierlichen Stufen hinunter auf das wartende Irrlicht. Die geschlossenen Vorhänge erinnerten an die Staffage von Bestattungsunternehmen. Sie schienen eine Woge aus Kälte zu verströmen.
»Sind das nicht die Kryobunker?«
»Richtig«, sagte Marco betont leise und fest.
»Managt sie die auch?«
»Sicher.«
Tabea versperrte ihm den Weg. »Nein, das tut sie nicht«, sagte sie. »Sie ist tot. Hannah ist tot, habe ich recht?«
»In gewisser Hinsicht, ja.«
»Vergiss es«, zischte sie.
»Es ist alles in Ordnung, Tabea, glaub mir«, sagte er eindringlich.
»Manche Leute reagieren empfindlich auf diese Begegnungen« , gab die allgegenwärtige Stimme zu bedenken. »Vielleicht möchte deine Schwester ein Beruhigungsmittel?«
»Sie ist tot«, sagte Tabea.
»Sie hat dein Geld«, entgegnete Marco.
Das grüne Feuer tänzelte artig am Fuß der Treppe.
»Wollt ihr lieber noch einen Augenblick innehalten, um euch zu sammeln und euch spirituell vorzubereiten?«, fragte die Stimme von überall und nirgends.
»Nein«, sagte Tabea. Sie warf den Kopf zurück. »Los! Macht voran!«
Die tiefroten Vorhänge öffneten sich von alleine, und das grüne Feuer schlüpfte hindurch.
Tabea pochte das Herz bis zum Hals, als sie den anderen in die abschüssigen Gefilde von Schlaf-der-Gerechten folgte.
22
Sie befanden sich wieder in den Wabentunneln von Plenty.
Aber dieser Sektor war zumindest erschlossen und zivilisiert, der Boden war ausgeschäumt, und die biofluoreszierenden Lüster in den kunstvoll angelegten Nischen erzeugten eine traurig-festliche Atmosphäre. Eine melancholische Harfe schien zu rufen. Sie folgten dem feurigen grünen Irrwisch, der unbeirrt zwischen den verkleideten Wänden voranstob. Der dienstbare Geist nahm offenbar keine Notiz von den akrobatischen Mätzchen, die Talo über ihm vollführte.
Es war reichlich kühl in den Korridoren des Schlaf-der-Gerechten.
Sie kamen an geschlossenen Vorhängen vorbei. Verhaltene Stimmen waren zu hören, leises Weinen, Schluchzen, die feierlichen Gesänge tausendstimmiger Knabenchöre. Andere Besucher kamen vorüber, düster gekleidet, in Mänteln aus erdbraunem Seidenzobel und schwarzem Mausbiberfell, Gebetsriemen umklammernd und Breviere, die in gebleichtes Kalbsleder gebunden waren, die Köpfe gesenkt, die Gesichter ernst. Die Kinder trugen Schulzeugnisse und kleine Maiglöckchensträuße. Man grüßte sich nicht.
Marco Metz wirkte hier fehl am Platz in seiner abgewetzten, teuren Jacke und der schlackernden zitronengelben Twillhose. Er hatte jeden Versuch aufgegeben, Tabea zu bevormunden, und ignorierte sie jetzt. Den billigen Reisesack geschultert, tappte er hinter dem flackernden Lotsen und dem papageienartigen Fremdling her und erinnerte eher an einen Seemann, den es in ein gewisses Etablissement treibt, als an einen berühmten Musiker, der seine Managerin aufsucht.
Ihm sprangen die Zodiak-Zwillinge, ein jeder den Arm um die Hüfte des anderen, in geschmeidigen Sätzen hinterher, und die
Pailletten auf ihren Pyjamas glitzerten im schummrigen Licht. Von hinten konnte man sie unmöglich auseinanderhalten.
Tabea hasste diesen Ort und jeden, der sich hier aufhielt. Fröstelnd hievte sie die Schlaufe ihrer Tasche weiter auf die Schulter hinauf und grub die Hände tief in die Taschen ihres Anoraks. Alles, was sie brauchte, waren zweihundertfünfzig Skutari und ein Fon. Das war der einzige Grund, warum sie nicht längst kehrtgemacht hatte. Und falls sie die zweihundertfünfzig Skutari und das Fon innerhalb der nächsten Stunde bekam, wollte sie nie wieder die Geduld mit einem Keck verlieren, nie wieder von ihren üblichen Geschäftspraktiken abweichen und nie wieder einen Mann in einer Bar aufgabeln, das schwor sie sich.
Der dünne grüne Irrwisch schwebte eine gewundene Treppe hinauf und verhielt vor einem geschlossenen Vorhang. Er schien sich vor ihnen zu verbeugen, und als sie alle vor der Schwelle standen, verschwand er. Auch die ätherischen Harfenklänge verrieselten mit einem freundlichen Schnörkel.
»Der Sarkophag von Mademoiselle Hannah Su« , vermeldete die allgegenwärtige Stimme. »Der Gerechtenschlaf verleiht würdevollen Aufschub. Bitte treffen Sie alle normalen Hygiene- und Sicherheitsvorkehrungen, und vermeiden Sie jede unbotmäßige Störung des Ruhenden oder des Versorgungssystems. Wir bedanken uns, dass Sie sich für den Gerechtenschlaf entschieden haben.«
Mit einem
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