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Sternendieb - Roman

Titel: Sternendieb - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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Orbitalstation. Ein Cherub in den Eingeweiden von Plenty!
    Tabea war, als durchbohre sie von Kopf bis Fuß ein Eiszapfen. Sie war wie gelähmt, war kälter und starrer als Hannah Su. Seit sie die Höhlen von Plenty betreten hatte, hatte sie nicht aufgehört zu starren, und jetzt starrte sie wie eine Statue.
    Es dauerte nur eine Sekunde.
    Dann riss sie sich los. Sie sah auf die Frau hinunter, die in dieser Wolke auf dem Gras schwamm. So unmöglich es auch zu sein schien, tat sie doch gut daran, es zu akzeptieren, selbst wenn es sich um des Teufels Großmutter gehandelt hätte. Und ehe sie sich’s versah, hatte dieser Anblick des raumgeborenen Kindes überhaupt nichts Befremdliches oder Verblüffendes mehr an sich. Es wirkte ganz selbstverständlich.
    »Er heißt Xtaska«, sagte Sarah, die scheinbar als einzige ein Interesse daran hatte, Tabea etwas zu erklären. »Wir halten ihn für weiblich.«

    Mogul bedachte seine Schwester mit einem verzögerten Augenaufschlag, ein gönnerhaftes Lächeln huschte um seine schmalen Lippen. »Müßige Spekulation«, sagte er ein wenig schleppend. »Sex haben sie abgeschafft.« Es schien, als fände er diese Tatsache höchst bedauerlich und amüsant zugleich.
    »Ich halte ihn für weiblich«, sagte Sarah, an Tabea gewandt, und spreizte anmutig den kleinen Finger ab. »Was meinst du?«
    Tabea schielte nach dem Cherub und zuckte wieder zurück. Er starrte sie immer noch an. Sie empfand Abscheu und war fasziniert, sie kannte sich nicht mehr aus. Ihr wurde schwindelig. War sie am Ende noch auf der Party in Schiaparelli, umnebelt von Räucherwerk und Bier und bestem Ophir, und alles, was sich seitdem zugetragen hatte, war nichts als eine einzige perfekte Halluzination?
    »Marco«, hörte sie sich krächzen.
    Der Cherub wechselte die Blickrichtung und starrte jetzt Marco an. Tabea musste ihn ansehen. Sie konnte den Blick nicht abwenden. »Er ist ein bisschen verärgert«, sagte Mogul zu Marco.
    Sarah sagte zu Marco: »Er ärgert sich über dich.«
    Hannah Su hatte inzwischen zu reden begonnen, und niemand hörte ihr zu.
    Ihre Augen standen offen und starrten ins Nichts. Ihre Worte kamen aus einem Synthesizer, den sie wie einen großen, protzigen Juwel am Hals trug. Er verlieh ihr die Stimme einer erschöpften Drohne.
    »… noch bevor Aufrichtigkeit ein Stadion bekam« , sagte die verstorbene Hannah Su. Weder ihre Lippen noch ihre Augen regten sich, aber unter der Haut des breiten, fahlen Gesichts zeichnete sich immer wieder ein Gitterwerk aus schwachen geometrischen Formen ab, als kristallisiere sie von innen her.
    Sie schien sich mit Xtaska, dem Cherub, zu unterhalten.

    »Also, seine Mutter, die war in Ordnung« , sagte Hannah Su. »Sie leitete den ersten Orbitalzirkus.« Sie gluckste. »Elefanten im freien Fall!«
    »Hallo, Marco«, sagte der Cherub.
    Xtaska, der Cherub, hat die Stimme einer perfekten Kleinmädchensimulation, die er ja gewissermaßen auch ist, wenn man einen gewissen Spielraum bei der Deutung des Wortes »perfekt« einräumt.
    »He, Xtaska«, sagte Marco kurz angebunden.
    »Du kommst spät«, meinte Xtaska.
    »Wir wurden aufgehalten. Durch eine Drohne.«
    »Was ihr auch für einen Zirkus veranstaltet habt.« Der Cherub sagte das wie ein kleines Mädchen, das seine Puppen rügt.
    Marco ignorierte den Vorwurf. »Außerdem«, sagte er knapp, »hat unser Taxi gestreikt.«
    »Marco.« Tabea sprach diesmal laut vernehmlich. »Geld. Fon.« Sie sah sich auf dem Gras um, fixierte den Wald. In einer derart ausgeklügelten Staffage musste es irgendwo ein Fon geben.
    »Sie leitete den ersten Orbitalzirkus« , erklärte die tote Frau. »Habe ich dir das schon erzählt?«
    Doch Tabea hatte mit ihrer Stimme wieder Xtaskas Aufmerksamkeit auf sich gezogen.
    »Wer ist sie?«, wollte der Cherub wissen.
    »Xtaska, das ist Tabea Jute, Kapitän des braven Schiffes Alice Liddell . Tabea, das ist Xtaska«, sagte Marco. »Ein Cherub, das fünfte Mitglied der Konterbande.«
    »Ja«, meinte Xtaska.
    Der Schutzanzug gleißte plötzlich auf und schillerte in allen Farben, als der Cherub sich im Sonnenlicht drehte. Worauf oder wozu er »Ja« gesagt hatte, wusste Tabea nicht genau. Es hatte autoritär, seelenlos und endgültig geklungen. Noch nie zuvor hatte sie eine Bestätigung von so grausamer Unumstößlichkeit gehört.

    »Wir reden später darüber«, sagte Marco rasch zu Xtaska. »Tabea.« Er nahm sie beim Arm und zog sie aus dem funkelnden Bann des Cherubs zu dem tiefgefrorenen Leichnam.

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