Sternenfaust - 009 - Verschollen in der Hohlwelt
auf sie zu, dass Mrandil angsterstarrt glaubte, ihr Schiff habe mittlerweile sämtliches Gas verloren und befände sich im freien Fall.
»Jetzt!«, schrie der Kapitän. Er stand direkt neben Steuermann Hrogal, der sich verzweifelt gegen das Hebel des Höhenruders stemmte. Beherzt sprang der Kapitän hinzu und drückte ebenfalls sein ganzes Gewicht gegen das Gestänge. Wie ein Seufzer durchfuhr ein Ruck das Schiff und für einen Moment glaubte Mrandil, schwerelos zu sein.
»Alle raus hier!«, brüllte der Kapitän jetzt. »Nach oben mit euch! Alle!«
»Kapitän, Sie können das Ruder nicht alleine halten«, sagte Hrogal.
»Doch«, schrie er, »ich fixiere es, dann komme ich nach. Los, nach oben! Ihr müsst euch um die Passagiere kümmern.«
Mit einem Satz war Mrandil bei der Wendeltreppe, die zu den höher gelegenen Decks führte. Sie sah, wie die anderen hinter ihr herkletterten. Auch Hrogal.
Das Schiff schlingerte nicht, also schien es dem Kapitän tatsächlich gelungen zu sein, das Höhenruder festzuzurren. Sie fragte sich besorgt, ob der Bordarzt seinen Patienten aus der im Bauch der LUCCRA gelegenen Schiffsklinik nach oben auf ein höher gelegenes Deck hatte bringen können. War Sungur schon wieder bei Bewusstsein? Oder mussten sie ihn tragen? Mrandil nahm sich vor, sofort nach ihm Ausschau zu halten. Doch kaum hechtete sie auf das Deck, wurde das Schiff bereits von einem furchtbaren Schlag getroffen.
Der Matrose direkt hinter ihr fand keinen Halt und schlitterte schreiend über die Planken, um schließlich mit voller Wucht gegen einen Pfosten zu krachen. Wimmernd blieb er dort liegen. Hrogal konnte sich mit letzter Kraft am Geländer der Treppe festhalten.
»Alle hier rüber!«, schrie Mrandil, als sie sah, dass niemand sich um die durcheinander wirbelnden Passagiere kümmerte. Doch das Schlimmste war erst einmal vorbei. Draußen, nur wenig unterhalb der Fenster, sah sie die Gischt der Wellen, die gegen die Hülle des oberen Gasbehälters schlugen. Der Auftrieb reichte nicht mehr für die Fahrt durch die Luft, aber für das Wasser reichte es.
»Wo bleibt der Kapitän?«, rief sie und blickte auf den schmalen Ausstieg der Wendeltreppe. Hrogal drehte sich wortlos um und stieg wieder hinab. Dann hörte man es klatschen. Mrandil rannte ebenfalls zur Treppe und sah, dass das Wasser bereits im Treppenaufgang stand. Aber es stieg nicht höher. Nur noch ein Viertel der Treppe war zu sehen, der Rest lag schon unter der Wasseroberfläche. Hrogal schien abwärts getaucht zu sein. Luftblasen stiegen auf und zerplatzten. Mrandil überlegte kurz, ob sie dem Steuermann folgen sollte.
In diesem Moment tauchte Hrogal prustend wieder auf.
»Helfen Sie mir!«, rief er Mrandil zu, die ihm entgegeneilte. Er hob einen leblosen Körper aus dem Wasser. Sie sah, es war der Kapitän.
Mrandil bekam ihn unter den Achseln zu fassen und zog den schweren Mann ächzend ganz aus dem Wasser heraus. Zwei Matrosen sprangen hinzu und halfen. Gemeinsam gelang es ihnen den Kapitän auf die Dielen des oberen Decks zu legen. Ein Schatten beugte sich über sie. Der Bordarzt schob Mrandil sanft zur Seite. Dabei bemerkte sie aus den Augenwinkeln, dass Sungur auf einer Bank lag, eingewickelt in eine Decke. Er schlief offenbar. Erleichtert atmete sie aus. Doch dann hätte sie sich beinahe verschluckt.
»Er ist tot«, sagte der Bordarzt. Wie Feuer durchfuhren Mrandil diese Worte. »Unser Kapitän ist tot«, wiederholte er leise.
»Er hat es geschafft, das Schiff im besten Aufschlagwinkel, der ihm noch möglich war, auf die Wasseroberfläche zu setzen«, sagte Hrogal. »Entweder ist er direkt durch den Aufprall getötet worden oder im eindringenden Wasser ertrunken.«
»Viele von uns, vielleicht wir alle, würden jetzt nicht mehr leben, wenn er nicht die Stellung unten in der Steuerkanzel gehalten hätte«, sagte Mrandil.
Wie ein riesiges Schlauchboot schwamm die LUCCRA oder das, was von ihr übrig geblieben war, auf dem Wasser. Antriebslos und ohne Steuerung. Doch damit sollten die Probleme der Überlebenden erst anfangen.
*
Da schönes Wetter war, hatte Wrugal seinen Ruschtu in das weitläufige, umzäunte Gelände hinter der Hütte gelassen, damit das Tier dort grasen konnte und Auslauf hatte.
Jetzt, als er ihn dringend benötigte, hatte sich der Rennvogel irgendwo in der hintersten Ecke des Auslaufs versteckt und kam auch auf die Rufe und Pfiffe Wrugals nicht zum Vorschein. Fluchend sprang er über den Zaun und lief den Hügel
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