Sternenfaust - 009 - Verschollen in der Hohlwelt
zurückzulegen, ganz zu schweigen die von der des Erstkaisers, der seine Untertanen auch heute noch fast um die Hälfte ihrer durchschnittlichen Größe überragen würde.
Dabei gehörte die LUCCRA noch nicht einmal zu den besonders großen Luftschiffen der Flotte.
Ohne zu überlegen kletterte Sungur die Trossen herab. Der warme Wind zerrte beständig an seiner dünnen Jacke, fuhr durch die Öffnungen zwischen Stoff und Fell und wölbte die Jacke wie ein Segel. Geschickt schob er die Krallen an seinen Fingern immer nur so weit hervor, dass sie sich in die Taue bohrten, aber der Gashülle nicht zu nahe kamen.
Dann hörte die Quervertäuung auf und nur noch ein loses Gewirr im Wind hin und herbaumelnder, armdicker Stricke führte weiter nach unten – senkrecht nach unten, während die Wölbung der Gashülle nun immer stärker zunahm.
Die Leiche des Attentäters hing nur noch wenige Kailangs von ihm entfernt und wurde immer wieder durch die Bewegung des Luftschiffes und durch den Wind heftig gegen die Hülle geschleudert. Sungur sah, wie überall aus der Gestalt des toten Angreifers scharfkantige Klingen und Schneiden herausragten, die auf dem Helm, den Arm- und Beinschienen und sogar an Brust- und Rückenpanzerung angebracht waren. Selbst die zusammengeklappten Gleitflügel besaßen lange Nadelspitzen. Zu allem Überfluss handelte es sich nicht nur um normale Klingen, bestens dazu geeignet, einen noch so zähen Stoff zu durchbohren. Ihr matter Glanz verriet eine höchst gefährliche Imprägnierung. Sobald das unter Druck stehende Gas mit dem Material in Berührung käme, mit dem die Klingen getränkt worden waren, würde ein verhängnisvoller Prozess der Selbstentzündung in Gang gesetzt werden.
Zur Katastrophe reichte bereits ein winziger Riss.
Sungurs Augen tränten durch den Fahrtwind. Vor Aufregung triefte und schleimte seine Nase. Aus seinem vor Anstrengung verzerrten, halb geöffneten Lefzen floss der Speichel.
Es grenzte an ein Wunder, dass die LUCCRA nicht bereits beim Aufprall des Angreifers explodiert war.
Ächzend hangelt sich Sungur näher. Seine Füße hatten jetzt jeden Halt verloren. Tief unter ihm jagten fetzengleiche Wolken über die mit grün-rot blühenden Laskabäumen bestandene Landzunge Atcha hinweg, die wie ein gekrümmter Finger in die Wargato-See ragte. Die LUCCRA hatte mittlerweile eine Höhe von mindestens viertausend Kailangs erreicht. Um an den waffenstarrenden Körper heranzukommen, musste Sungur das Seil, an dem er hing, zum hin und her pendeln bringen. Er bog seinen Leib zusammen und stieß die Füße in die Luft. Das Seil reagierte und begann zu pendeln. Er schwang von der Leiche fort und näherte sich ihr wieder, als er zurückschwang. Doch seine Bewegung übertrug sich auch auf die Leinen, in denen der Attentäter hing. Kaum eine Armlänge trennte sie noch, da driftete der Körper vor ihm wieder zur Seite. Mit einem Grauen erregenden Quietschen schleiften die Messer über die Hüllenhaut.
Panik überfiel Sungur.
Wenn er noch mehr Schwung holte, würde sich auch die ohnehin gefährliche Bewegung des toten Angreifers in den Seilen verstärken. Mehr als zwei Armlängen pendelte die Leiche jetzt an ihm vorbei vom Schiff weg.
»Sungur!«
Die Stimme des Kapitäns kam von weiter vorn und von oben. Der Junge verdrehte den Kopf und sah, wie sich der Kapitän aus dem Seitenfenster der vorderen Steuerkanzel an der Spitze der LUCCRA herauslehnte. Seine mächtigen Backenhaare waren derart gesträubt, dass der Fahrtwind sie kaum flattern ließ. Er schien mit einem Blick die Situation erfasst zu haben. Und was er sah, ließ die Erinnerung an das gerade erst überstandene Entsetzen wieder wach werden.
Sungur wusste, dass es nur noch eine Chance gab. Das Seil, an dem er hing, war kürzer als die Stricke, in denen sich die Leiche des Attentäters verfangen hatte. Sobald der mit Spitzen- und Klingen gespickte Tote zurückschwang und mit neuerlicher Wucht die Gashülle entlangschrammte, wäre es aus.
»Sungur! Nein!«, schrie der Kapitän, als er sah, dass der Junge mit heftigen Bewegungen versuchte, sein Schaukeln zu verstärken. Von schräg oben konnte der Kapitän besser abschätzen, dass sich die Bahnen beider Schaukelbewegungen kaum kreuzen würden.
Doch in dem Augenblick ließ Sungur das Seil los. Aus dem Fenster der Steuerkanzel ertönte ein mehrstimmiger Schrei. Neben den Kapitän zwängte sich auch Mrandil heraus, um die aberwitzige Aktion zu beobachten. Er war gerade wieder vom
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