Sternenfaust - 055 - Krieg in der Hohlwelt (1 of 2)
gedrungen war. Er hatte nicht gesehen, wie lang die Pfeile waren, aber von dem neben Odira ragten nur noch die Stabilisierungsfedern aus der Rinde.
»Waffen fallen lassen!«, klang es mit einer sehr melodischen Stimme zu ihnen herüber. »Und zwar sofort. Die nächsten Pfeile treffen euch direkt in die Stirn. Und das wäre zumindest bei dem hübschen Gesicht der jungen Dame sehr bedauerlich …«
Kanturiol spürte, wie sich schlagartig eine merkwürdige Empfindung in ihm breit machte. Weniger ausgelöst durch die unsichtbare Bedrohung, als vielmehr durch den Klang der Stimme. Noch genauer durch das, was sie zuletzt gesagt hatte.
Das hübsche Gesicht der jungen Dame …
Er hatte einfach kein Glück auf dieser selbst auferlegten Mission. Sie schien von Anbeginn an zum Scheitern verurteilt zu sein. Dennoch hatte er sie mit erstaunlicher Dickköpfigkeit immer weiter vorangetrieben, hatte längst Odira als unfreiwillige Begleiterin nicht nur akzeptiert, sondern ihre Anwesenheit sogar zunehmend genossen. Selbst ihre Maulerei und ihre ironischen Spitzen hatte er während des letzten Wegstücks über die Lianenbrücken, das sie schweigend zurückgelegt hatten, vermisst.
Ein düsteres Gefühl bemächtigte sich seiner, als er der Aufforderung nachkam und aus den Augenwinkeln sah, dass auch Odira das Messer fallen ließ.
Sie waren nur zu zweit. Die auf sie gerichteten Armbrüste waren allerdings Bedrohung genug. Die grün schimmernden Uniformen wiesen sie als Kazan-Krieger aus. Derjenige, der Kanturiol im Visier hatte, war ein dicker, finsterer Kerl mit schwarz-rot geflecktem Fell, durch das sich die Andeutung hellgrauer Streifen zog. Der andere war lang und schmal, mit fast zur Gänze rötlichem, kurzhaarigem Pelz. Während dem Runden dicke Haarbüschel aus den Ohren wuchsen und das ganze Fell einen struppigen, vernachlässigten, langhaarigen Eindruck vermittelte, verwendete der Hagere offensichtlich viel Zeit und Arbeit auf die Fellpflege und trug es – wie es derzeit am kazanischen Hof Mode war – so stoppelig kurz geschoren, dass man schon meinte, die Haut hindurchschimmern zu sehen.
Beide hatten kecke Baretts zwischen die Ohren geklemmt, trugen aber weder Harnisch noch sonstige Rüstung. Sie schienen sich ziemlich sicher zu fühlen. Während der Dicke immerhin noch einen Krummdolch im Gürtel trug, ähnlich jenem, den Odira fallen gelassen hatte, baumelte an der Seite des Dünnen eine lange, kaum fingerdicke Scheide, in der statt einer Waffe nur eine Art Spielzeug stecken konnte.
Kanturiol begriff: Zumindest der Hagere schien von Adel zu sein, denn bei dem stockähnlichen Ding musste es sich tatsächlich um das neueste Spielzeug junger, adeliger Gecken – eine Art Zierdegen – handeln, mit dem man bestenfalls zustechen konnte, der aber ohne Zweifel schon bei einem etwas heftiger ausgeführten Schlag in tausend Teile zersplittern würde. Damit mochte man bei Menuett Eindruck schinden können, im Kampf oder gar während einer Schlacht war solch ein Stock der Ausdruck der Sinnlosigkeit.
Während ihn der Dicke mit angelegter Armbrust unter buschigen Brauen hinweg finster musterte, ließ der Dünne die Waffe sinken, würdigte Kanturiol keines Blicks und schritt rasch auf Odira zu.
»Ja, ich mag es kaum glauben!«, rief er mit seiner melodiösen Stimme. »Wer läuft uns denn hier, abseits der bequemen Pfade, auf einem Weg in die Arme, den sonst nur Räuber und Schurken nehmen? Das nenne ich eine gelungene Überraschung …«
»Prinz Lamfar …«, antwortete Odira mindestens ebenso verblüfft. »Was macht Ihr denn hier?«
»Lasst es gut sein, Herzog«, sagte der Angesprochene zu seinem rundlichen Begleiter, ohne den Blick von Odira abzuwenden. »Es ist zwar lange her, als mir das letzte Mal das Vergnügen gegönnt war, Euer liebreizendes Antlitz zu bewundern, aber glaubt mir, Ihr seid seitdem noch viel schöner geworden. Herzog! Das ist die jüngste Tochter von Fürst Malachenko. Sie hört auf den betörenden Namen Odira … Ihr kennt den Herzog?«
Odira verneinte.
»Rigbalton von Rauni«, sagte der Prinz. »Der glorreiche Sieger der Fünf-Heere-Schlacht in der Schlucht von Sinndermell. So berühmt und gefragt er unter der Herrschaft meines Großonkels war, so wenig schätzt der jetzige Kazan seine Dienste …«
Was wohl hinreichend erklärt, warum man einen solchen Mann hier fernab der Hauptstadt in einer Region findet, von der die meisten am Hof noch nicht einmal sagen könnten, wo sie liegt … , lag Odira
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