Sternenfaust - 082 - Gotteskrieger
der Selif-Tanjaj erschleichen musste. Und er wusste auch, dass er dann, um zu entkommen und Wanda und den Prediger in Sicherheit zu bringen, den Führer der Selif-Tanjaj, den Gelegebruder seines Vaters Feran-San, würde töten müssen. Sein Onkel hatte ihm nie das Versprechen gegeben, an das Hel-Keran sich vielleicht sogar gehalten hätte: Feran-San war kein Menschenfreund. Sun-Tarin wusste, dass er Wanda von Anfang an hatte töten wollen. Und um das zu verhindern und zugleich Satren-Nor zu befreien, hatte er einen Plan geschmiedet, der seinen, Sun-Tarins, eigenen Tod mit einkalkulierte.
Als würde Gott selbst ihm einen Wink geben wollen, lag auf dem hohen Tisch seines Quartiers sein Handgraser. Telford hatte ihn entwaffnet, doch aus irgendeinem Grund war die Waffe in seinem Quartier liegen geblieben. Hatte sie jemand vergessen? Oder war es Absicht gewesen? Vielleicht war es ein Wink von Bruder William, auch wenn dessen Glaube das Töten verbot. Vielleicht hatte er diesen »Zufall« ja auch Dana Frost zu verdanken. Der Captain war zwar auf ihn wütend, da er Wanda Ndogos Leben gefährdet hatte, zugleich verstand sie aber auch sein Handeln und seine Treue zu Satren-Nor – sie war eben die Kriegerin, als die Sun-Tarin sie in den letzten anderthalb Jahren zu schätzen gelernt hatte.
Sun-Tarin rieb leise die Schnabelflächen aneinander. Es klang verloren in dem leeren Raum mit der kridanischen Schlafliege und den wenigen, menschenhohen Schränken. Hätte ihm noch vor wenigen Wochen jemand gesagt, dass er eines Tages für Satren-Nor sterben würde – er hätte es nicht geglaubt. Aber Sun-Tarin war es von Anfang an klar gewesen: das Heilige Kridanische Imperium brauchte Satren-Nor. Ihn dagegen brauchte es nicht mehr.
Langsam griff Sun-Tarin nach dem Handgraser. Die Waffe lag angenehm in der Klaue. Er ging in die Mitte des Raumes und sank dort auf die Fußgelenke.
Offizier Sun-Tarin war kein menschlicher Schwächling, der sich vor der Verantwortung drückte. Er war ein Kridan. Und er stand zu seinen Taten. Mit dem heiligen Kurison hatte er seinen Onkel und Waffenbruder getötet. Er hatte mit seinem gottgeweihten Schnabel ein Versprechen gegeben, obwohl er wusste, er hatte diesen Schwur nicht halten können. Sun-Tarin legte sich die Mündung des Grasers an die Kehle, die rituelle Stelle, an der ein Eidbrecher getötet werden musste – an dem Organ, das den falschen Schwur geleistet hatte. Für seinen Verrat gab es nur eine Konsequenz. Das wusste er.
»Gott, in dessen Hand mein Leben liegt: Mein Denken und Handeln, mein Fühlen und Sehnen, das Streben meiner Seele und alle Taten meines Lebens dienen dir allein zur Ehre. Und wenn das Ende kommt, das du allein bestimmst, heißt es nicht nur zu sterben, sondern gut zu sterben.«
Sun-Tarin richtete sich kerzengerade auf, spannte alle Muskeln an und drückte ab.
*
Das hohe Sirren blieb aus.
Kein Schmerz an der Kehle oder im Kopf.
Es klickte nur hohl.
Sun-Tarin begriff nicht. Er ließ die Waffe langsam sinken und starrte darauf. Die Energieanzeige wies volle Bereitschaft auf.
Er drückte noch einmal ab.
Nichts.
»Ihr Kridan seid so schrecklich berechenbar.« Die Stimme war leise und deutlich zuzuordnen.
Wanda.
Sun-Tarin drehte sich langsam um. Wanda Ndogo, die sich hinter der Liege verborgen hatte, kam langsam dahinter hervor. Und sie war nicht allein. Neben ihr stand Bruder William. Seine braunen Augen blickten gütig und verständnisvoll.
Sun-Tarin konnte nicht sprechen. Er lag noch immer auf den Fußgelenken, sah die beiden unverwandt an und ließ die Waffe langsam neben seinen Fußkrallen zu Boden sinken.
Wanda setzte sich neben ihn auf den Boden. »Sun … Vieles, was du getan hast, war falsch und ich werde Zeit brauchen, es dir zu vergeben. Aber du solltest wissen, ich verstehe, warum du es getan hast.«
Bruder William kniete sich auf die andere Seite des Kridan. »Du hättest mit uns reden sollen. Wir sind deine Freunde.«
Sun-Tarin konnte noch immer nicht sprechen. Es war, als klebten die Hälften seines Schnabels aneinander. Er streckte seine Klauen Halt suchend aus. Wanda und William nahmen sie. Endlich schaffte Sun es, den Schnabel leicht zu öffnen.
»Ich muss sterben. Ich habe Gott verraten. Das ist der einzige Weg.«
»Du musst nicht sterben. Du wolltest Gutes tun«, meinte Wanda sanft.
»Gott wäre nicht Gott, wenn er nicht vergeben und verstehen könnte.« Bruder Williams Stimme war feierlich. »Und er schickt uns, um dir den Weg zu
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