Sternenfaust - 093 - Auge des Feindes
diesem Zimmer bevorzugt benutzte. Während die Lakshaira ihm Rendoys Lieblingsstücke auf der Hamara vorspielte, ging er im Geiste noch einmal alles durch, was er hier berücksichtigen musste. Dank Hattis und einem Diener namens Felar Manduur, der Rendoys persönlicher Laufbursche war und ebenfalls zum Untergrund gehörte, hatte Siron nicht nur einen Grundriss des gesamten Gebäudes erhalten, sondern auch Bildmaterial, anhand dessen er sich mit jedem einzelnen Raum von Rendoys Palast vertraut machen konnte. Schließlich würde dieses Haus auf unbestimmte Zeit sein Zuhause sein.
Mit einem Mal wurde Siron Talas die Ungeheuerlichkeit seines Planes klar. Doch jetzt war es zu spät für einen Rückzieher. Und doch – er würde hier in jeder Sekunde auf der Hut sein und sich auf seine Rolle als Rendoy konzentrieren müssen, um sich nicht versehentlich durch eine Geste oder etwas anderes zu verraten. Zwar waren durch den Tod von Rendoys Frau die Voraussetzungen dafür geschaffen worden, dass jeder ihm gewisse unbedeutende Veränderungen nachsehen würde; und die Entlarvung und Hinrichtung seines dritten Sohnes als Verräter tat ein Übriges. Aber es war sicherlich nicht verkehrt, wenn er sich so weit wie möglich von hier fernhielt und Arbeit vorschützte. Zu seinem Glück stand Rendoy ohnehin nicht in dem Ruf, an seiner Familie besonders interessiert zu sein.
Tamfura Hattis beendete ihr Spiel und setzte sich zu ihm, um mit ihm noch einige Dinge zu besprechen, ehe es für sie Zeit war, ihren Besuch bei Triumvir Rendoy zu beenden. Als sie schließlich ins Nebenzimmer ging, um sich umzuziehen, rief Talas Ganor Drenshaan, Rendoys persönlichen Diener herein, um Ordnung im Zimmer zu schaffen.
Er achtete nicht darauf, dass dem alten Diener eine jüngere Frau folgte, die mit gesenktem Kopf die von Hattis benutzten Trinkgefäße auf ein Tablett stellte. Doch etwas an der Art, wie sie sich bewegte, irritierte ihn. Ihre Haltung war nicht die einer Dienerin. Da sie ihr Gesicht abgewandt hielt und er es nicht erkennen konnte, vermochte er nicht zu sagen, wer sie war. Er grübelte noch darüber nach, als Drenshaan sie jetzt bemerkte, sie erstaunt ansah und den Mund zu einer Bemerkung öffnete.
Danach ging alles sehr schnell. Die Frau wirbelte zu Talas herum und stürzte sich mit einem Schrei puren Hasses auf ihn. In der Hand hielt sie einen Talnai und zielte damit auf Sirons Kehle …
Er reagierte mit den in langen Jahren des Trainings erworbenen Reflexen. Er warf sich zur Seite, blockierte mit dem Arm ihren Stich unterhalb des Handgelenks, sodass der Stich ins Leere ging, sprang auf die Füße, packte ihren Arm mit der anderen Hand und verdrehte ihn so, dass sie vor Schmerzen aufschrie und den Dolch fallen ließ. Er stieß sie von sich und kickte mit einer raschen Bewegung den Talnai aus ihrer Reichweite. Nun, da er ihr Gesicht sehen konnte, erkannte er sie. Es war Nanla Kona, eine von Rendoys Nichten – und die Witwe seines hingerichteten Sohnes.
Siron blickte sie kalt an. »Der Temuran hat offenbar nicht gründlich genug nach den Verrätern in meinem Haus gesucht«, stellte er fest. »Und es wird Ebras Tainor seinen Posten kosten, dass du seiner Aufmerksamkeit entgangen bist.«
»Ja, das ist alles, was du kannst«, höhnte sie hasserfüllt. »Existenzen vernichten und Todesurteile verhängen! Ich war keine Verräterin, Onkel !« Sie sprach die Anrede aus wie einen Fluch. »Nicht einmal als du mir Bergon Sin genommen und mich gegen meinen Willen mit Sitak verheiratet hast!«
Talas erinnerte sich, dass sein Erster Offizier damals zur STOLZ DER GÖTTER quasi strafversetzt worden war, weil er einer von Rendoys Nichten den Hof gemacht hatte. Allerdings hatte Sin niemals den Namen der Frau erwähnt. Doch nun konnte Talas zumindest diesen Teil ihres Zorns verstehen.
»Aber dass du jetzt auch noch meinen Bruder hast hinrichten lassen, dafür hasse ich dich zutiefst! Und du wirst mich jetzt auch töten müssen, Onkel , denn wenn du es nicht tust, werde ich nicht eher ruhen, als bis ich dich eigenhändig umgebracht habe!«
»Wie du willst«, sagte Siron kalt und wandte sich an Drenshaan. »Rufen Sie die Sicherheitswachen«, befahl er dem Diener. Doch der Mann rührte sich nicht und schien wie erstarrt.
»Was ist los mit Ihnen?«, herrschte Siron ihn an. »Worauf warten Sie?«
Der alte Mann starrte ihn an, als hätte er einen Geist aus der Neunten Unterwelt vor sich. Schließlich öffnete er den Mund und sagte tonlos: »Sie sind
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