Sternenfaust - 115 - Der Feind im Verborgenen
zustande brachte. »Nur die Migräne …« Aus den Augenwinkeln sah er, wie Polina ihn zweifelnd ansah.
»Dagegen gibt’s heutzutage gute Medikamente, Sie armer Mensch!«, rief ihm eine rundliche Frau zu, die ein bisschen weiter den Hügel hinunter saß. Sie hatte ihr Fernglas in den Schoss gelegt und sein kurzes Wegtreten anscheinend aufmerksam mitverfolgt.
»Ich weiß, danke«, stimmte Jason der Frau zu, die sich daraufhin wieder umwandte und sich, das Feld der Läufer suchend, das Binokular an die sonnenbebrillten Augen hielt.
»Das stimmt doch nie und nimmer!«, zischte Lieutenant Stokke ihn von der Seite an. Sie hatte ein Taschentuch gezückt und tupfte ihm damit auf der feuchten Stirn herum. Dabei versuchte sie den Anschein zu wahren, eine besorgte Freundin des Migräne-befallenen zu sein. Ein Blick in ihre grimmig verzerrten Züge jedoch strafte jeden lügen, der so dachte.
»In der Tat, das ist auch nicht richtig!«, flüsterte Jason. Dann hob er die Stimme und sagte: »Ich glaube, ich brauche nur etwas zu trinken!«, sodass es jeder, der jetzt noch zu ihnen hinüber sah, hörte und sich desinteressiert abwandte.
»Hoch mit Ihnen!«, forderte Jason und zerrte Polina in die Höhe. Seine Finger hatten sich in ihre Schulter gegraben und verkrampften sich dort derart, das es beinahe wehtat.
»Was soll denn das jetzt schon wieder?« Polinas Ärger war nun einer profunden Angst gewichen.
Der Typ ist verrückt! Total durchgeknallt! Erst will er mich küssen – na gut, ich ihn auch! – und dann hat er wieder einen solchen Anfall!
Trotzdem flüsterte sie, sodass sie außer ihm keiner verstand. »Jason, wenn Sie mir nicht auf der Stelle erklären, was in Sie gefahren ist …«
»Mitkommen! Bitte!«, knurrte der junge Mann leise und führte sie am Arm den Hügel hinunter, auf einen Durchlass zwischen zwei Township-Baracken zu. Der flehentliche Ton in seiner Stimme bewirkte, dass Polina ihm trotz allen Misstrauens folgte.
Sobald sie im Schatten der Hütten angelangt waren, stemmte sie sich mit aller Kraft gegen ihn und wollte nicht weiter. »Ich will wissen, was hier gespielt wird! Sofort!«
McVellor wandte sich um, als er merkte, dass sie sich nicht mehr weiter von ihm mitziehen ließ. Tränen rannen ihm aus den Augen. Alle seine Muskeln zitterten vor Angst. »Wir müssen hier sofort weg! Es ist nicht gut, dass wir hier sind …«
Polina Stokke stemmte matronenhaft die Hände in die Hüften. »Warum das, um alles in der Welt?«
Jason fasste sie energisch mit den Händen an den Schultern und rüttelte sie leicht. »Weil hier gleich irgendetwas Schreckliches passieren wird! Und fragen Sie nicht, woher ich das weiß! Ich weiß es einfach …!«
*
Da vorne! Der letzte Mann, der noch vor mir an der Spitze liegt!
Islington Orban spannte seine Muskeln zum Sprung und setzte auf das nächste Barackendach über. Dabei verlor er seinen direkten Gegner, den einzigen Rennteilnehmer, der noch vor ihm lief, aus den Augen, denn die Wellbleche, mit denen die historischen Hütten bedeckt waren, waren zum Teil verflucht rutschig. Außerdem musste er aufpassen, nicht gegen das nächste Hindernis zu prallen, das ihn in der nächsten Gasse in Form eines Geröllhaufens aus Bauschutt erwartete.
Der Sieg dieses Rennens gehört mir! Ich lasse es mir nicht nehmen, hier in meiner Heimatstadt als Erster aus der Etappe hervorzugehen!
Orban, einer der Stars des Parcours-Sports, kam gebürtig aus Kapstadt und lebte auch hier. Der durchtrainierte 22-Jährige war bereits mit 14 Jahren der Held der lokalen Szene gewesen und hatte sich in allen Wettbewerben gegen seine Konkurrenten behauptet. Bei den letzten Meisterschaften war er Vizeweltmeister geworden. Dieses Mal lag er in der Gesamtwertung vorne, dichtauf gefolgt von einem Sportlerkollegen aus Sao Paulo, den er bei diesem Rennen nur ungefähr zwei Atemzüge hinter sich laufen wusste.
Dennoch, sollte der derzeitige Erste das Rennen als Sieger beenden, konnte ihn, Orban, das die Gesamtführung kosten – nicht nur den prestigeträchtigen Sieg der Etappe in seinem Land, ja, in seiner Heimatstadt.
Das könnt ihr vergessen! Diese Schmach werde ich mir nicht geben!
Islington Orban ging in einen kurzen Sprint und nutze den Schwung, mit dem er den Geröllhaufen erklommen hatte, um an dessen Spitze abzuspringen und zielsicher auf dem Dach des nächsten kleinen Gebäudes zu landen. Vor ihm, nur wenige Meter entfernt, kam der andere Läufer beim Überwinden einer aufgespannten
Weitere Kostenlose Bücher