Sternenfaust - 132 - Das Urteil des Raisa
ihm die einzelnen Stationen und was dort jeweils präsentiert wurde. Harath sagte zunächst gar nichts, als wolle er sie mit Nichtachtung strafen.
Sie betraten einen hohen Raum, der bis ins dritte Stockwerk hinaufreichte. Hier waren die Skelette mehrerer Saurier ausgestellt. Harath blieb vor dem größten Skelett stehen. Es waren die zusammengesetzten Knochen eines Diplodokus, der den Kopf tief gesenkt hielt. Harath brach sein Schweigen.
»Sie sehen unseren Drachen ähnlich. Und zum Teil auch vielen Tieren, die hier einst beheimatet waren.« Er wirkte zum ersten Mal seit der Ankunft aufrichtig interessiert. »Trotzdem ist diese gesamte Ausstellung eher erbärmlich. Die Menschheit verfügt über eine derart kurze Geschichte, dass es sich kaum lohnt, sich darüber zu informieren.« Er sah sich mit einer mitleidigen Geste im Raum um. »Das Meiste hier rechtfertigt die Mühe des Transportes nicht.«
Frida ballte ihre Hände zu Fäusten. »Wenn Sie so wenig von der Geschichte der Menschheit und diesem Institut halten, warum sind Sie dann hier?«
»Ich war noch nie in diesem Institut.« Er wandte sich zu ihr um und sah ihr in die Augen. Frida wurde schwindelig von diesem Blick. Eine Vielzahl von Gefühlen strömte auf sie ein. Seine Stimme klang kühl. »Sie kennen meine Geschichte, Frida? Nicht wahr? Sie haben sie sicher genauso gründlich studiert, wie das Leben dieser ausgestorbenen Spezies?«
Frida nickte verwirrt. »Worauf wollen Sie hinaus?«
»Mein Onkel, Siron Talas, war ein Freund der Menschen. Und manchmal überkommt mich der Wunsch, die Menschen besser zu verstehen.«
»So wie Sie das betonen, klingt es, als wollten Sie einen Feind analysieren.«
»Unsere Spezies sind ganz und gar verschieden, trotz des ähnlichen Äußeren.
Unsere Gedankenwelten liegen weit auseinander.«
»Ist das so? Auf der Erde gab es viele Gedankenströmungen. Einige sind denen der J’ebeem durchaus ähnlich.«
Harath blieb vor dem Diplodokusskelett stehen. Seine Blicke wanderten über die weiß polierten Knochen. »Welche denn zum Beispiel?« Er wechselte jetzt von Jubar in akzentfreies Solar. »Vielleicht habe ich während meiner Studien ja eine dieser Strömungen übersehen.« Seine Stimme war arrogant.
Frida öffnete ihre Hände. »Wer sein selbst Meister ist, und sich beherrschen kann, dem ist die ganze Welt und alles Untertan« , zitierte sie stolz. »Das ist von Paul Fleming aus dem siebzehnten Jahrhundert solarer Zeitrechnung. Und es ist ganz ähnlich einem Zitat des J’ebeem Harim Damar, der vor über sechshundert J’ebeem-Jahren lebte.«
Harath sah sie zweifelnd an. »Ihr Volk kann diesen Satz bestenfalls im Sinne eines unerreichten Ideals verstehen.«
»Und die J’ebeem haben dieses Ideal erreicht?« Frida spürte, wie Wut in ihr aufstieg. Provozierte er sie mit Absicht? Hielt er wirklich so wenig von den Menschen?
»Selbstverständlich«, erklärte Harath nüchtern. »Ein J’ebeem hat sich jederzeit unter Kontrolle. Sie dagegen, Frida, sind das beste Beispiel für eine J’erde. Ihre Wut kann man noch auf eine Drachenlänge Entfernung sehen. Sie ziehen sich an wie eine J’ebeem und schminken sich nach unserem Schönheitsideal. Aber Sie sind von unserem Vorbild so weit entfernt, wie dieser Fleming von dem, was er niederschrieb. Jedes Kind auf Ebeem hat mehr Selbstbeherrschung als Sie.«
In Frida kochte es. Sie starrte in diese dunklen Augen, in denen ferne Feuer zu flackern schienen. Ihr Herz raste. »Sie aber haben sich immer unter Kontrolle, nicht? Sie sind so kalt und tot wie der Marmor auf dem wir stehen. Ein aus dem Ei gekrochener Politiker, romantisch wie ein Stück Fels. Jemand, der jeder Gefahr aus dem Weg geht, um nicht aus Versehen in Wallung zu geraten.«
Etwas blitzte in Gondrel Haraths Augen auf. »Ich habe mehr Gefahren bestanden, als Sie …«
Frida ließ ihn nicht ausreden. Sie fühlte ihn übermächtig, wusste instinktiv, was er wollte. Ohne darüber nachzudenken, zog sie ihn an sich heran und küsste ihn.
Sie fühlte seine Überraschung. Seine Faszination für sie. Für die Menschen an sich. Das aufsteigende Verlangen, und sein Unverständnis, über die ihm fremde Geste eines Kusses.
Gleichzeitig war da noch mehr. Ein schmerzhaftes Brennen fuhr über Fridas Lippen. Sie hob erschrocken die Hände an den Mund. Sein Speichel war scharf, süßlich, Chili und Honig, und irgendetwas Undefinierbares, Fremdes. Der Geschmack passte zu seinem Duft, den Frida überdeutlich roch.
Hitze schoss
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