Sternenfaust - 132 - Das Urteil des Raisa
Nähe des Küchentraktes vorbei, erreichten die Küche aber nicht. Kurz vor dem Eingangsbereich hielt Lera-Taris inne und öffnete eine verborgene Seitentür in der Wand des Ganges. Eine steile Treppe führte in die Dunkelheit. Die Dienerin stieg zügig in die Tiefe.
Saha-Fera folgte ihr.
Ihr Herz erschien ihr immer lauter zu schlagen. Stufe um Stufe ging es hinab in die Kellerkatakomben unterhalb des Palastes. Es war unheimlich hier unten. Voller bläulichem Staub und zuckender Schatten, die außerhalb des Fackelscheins nach ihr zu greifen schienen.
Lera-Taris hielt plötzlich inne. »Gehe diese Mauer entlang bis zum Ende und durch die Tür hindurch. Dort findest du den Raisa. Beeil dich, denn er wartet bereits.«
»Hab Dank«, flüsterte die Priesterin, als könne ein lautes Wort ihre Unsicherheit und Angst verraten.
Saha-Fera hoffte inständig, dass Lera-Taris vertrauenswürdig war, und niemand wusste, wer sie, die Priesterin, wirklich war. Sie hatte viele Feinde in der Stadt, die ihr nur zu gerne eine Affäre mit dem Raisa unterstellen würden.
Sie nahm Lera-Taris die Fackel ab und sah zu, wie die Rapun-Ka ganz ohne Licht in der Finsternis verschwand. Dann erst fasste sie sich ein Herz und ging durch die Schatten.
Dieser Gewölbeteil war alt. Welcher Raisa hatte ihn wohl anlegen lassen? Fest stand, dass der jetzige Raisa von ihm wusste und ihn neu für sich entdeckt hatte.
Sie erreichte das Ende der Mauer und stieß auf eine schmale eiförmige Tür aus altem Tuka-Holz. Sie schob die Tür zur Seite, die daraufhin in einen Hohlraum der dicken Steinwand hinein glitt. Der Mechanismus ließ sich spielend leicht bedienen.
Vor ihr öffnete sich ein weiter Raum, der von zahlreichen Kerzen und Fackeln erleuchtet wurde. Ein gut sechs Schritt langes Becken in ovaler Form war in den Boden eingelassen. Darauf blühten die größten Hamask-Blüten, die Saha-Fera je erblickt hatte. Die fleischigen Blätter waren größer als die im Tümpel der heiligen Diaria auf Far-Gen. Saha-Fera blickte auf den Boden. Sie sah und spürte, dass sie auf einem dicken Moosteppich ging, der im Licht der Fackeln blauviolett schimmerte.
»Seran-Pakor?«, flüsterte sie.
Er trat aus einer Ecke des Raumes, in der er eben eine weitere dicke Heras-Kerze entzündet hatte. »Ich bin hier. Schön, dass du gekommen bist, Saha-Fera.« Seine warme Stimme tat ihr gut. Trotzdem war sie unsicher, wie sie sich ihm gegenüber verhalten sollte. Er war der Raisa. Das Licht im Sand.
Seran-Pakor deutete auf einen Mooshügel nahe dem Blütenbecken. »Setz dich doch«, forderte er sie auf.
Sie ging zu ihm auf den Hügel, knickte ihre Knie nach hinten ein und setzte sich auf ihre Fußkrallen. Der dunkle Mantel, der ihr hellgrünes Priesterinnengewand verbarg, legte sich wie ein Fächer um sie.
»Du wolltest mit mir reden«, klackerte der Raisa ermutigend.
Saha-Fera sah sich verunsichert um. »Wozu all diese Kerzen?«
»Es gibt hier unten kein künstliches Licht.« Seine dunklen Augen sahen sie aufmerksam an. »Aber nun erzähl mir, was du mir im Sandbad des Tempels nicht sagen konntest.«
Saha-Fera senkte den Blick. »Danke, Euer Heiligkeit.« Sie wusste, dass sie ihn vertraut ansprechen durfte, wenn sie allein waren, aber es fiel ihr nach wie vor schwer. Sie schnarrte leise mit dem Schnabel. Ihre Fußkralle kratzte im Moos. Wie sollte sie beginnen?
»Ich … ich habe wieder Visionen«, klackerte sie kaum hörbar.
Seran-Pakor sah sie mit starren Augen an. »Glaubst du, dich beeinflusst jemand?«
Als Saha-Fera zuletzt Visionen gehabt hatte, waren es die telepathischen Einflüsterungen eines Wesens namens Zaruk gewesen, das im Sinne der Basiru-Aluun für einen Krieg zwischen Menschen und Kridan sorgen wollte.
Saha-Fera senkte den Schnabel. »Nein, ich hatte auch vor Zaruk schon einfache Visionen. Aber Orlan-Gal glaubt mir nicht. Er hat mir verboten, mit dir darüber zu sprechen. Er meint, ich wolle mich nur wichtig machen.« Sie zitterte leicht. Ob er das auch glaubte? Nahm er sie überhaupt ernst?
Seran-Pakor legte beruhigend einen Arm auf ihre Schulter, nahe der Geras-Inkh-Stelle am Hals, die das Wohlbefinden bei Berührung steigern konnte. »Ich weiß, dass du dich nicht nur wichtig machen möchtest. Erzähl mir von deinen Visionen.«
Saha-Fera schluckte, als sie sich an die furchtbaren Bilder erinnerte. Ihre Schnabelhälften produzierten ein klägliches Geräusch. »Da sind Felder. Schwarze Felder. Aber es wachsen keine Sempa-Früchte darauf. Da
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