Sternenfaust - 152 - Am Scheideweg (2 of 2)
nicht auffielen, oder der sie schlicht als irrelevant abtat. »Geben Sie’s diesem Zeilenknecht Tim Pennington. Der berichtet ohnehin von allem, was nicht bei drei auf den Bäumen ist.«
»Und dann?«
Mitchells Lächeln wurde breiter. »Und dann lehnen wir uns zurück und sehen zu, wie Cifarettos Kartenhaus aus Propaganda und Augenwischerei in sich zusammenstürzt und ihn unter sich begräbt.« Er zögerte. »Glauben Sie mir, Commander, mir schmeckt das so wenig wie Ihnen. Aber der Zweck heiligt mitunter die Mittel. Cifaretto mag ja glauben, der Menschheit mit seiner Vogel-Strauß-Taktik den richtigen Weg vorzugeben, aber Sie und ich wissen genau, wie falsch er damit liegt. Es ist unsere Pflicht gegenüber der Welt, auf der wir leben, zu verhindern, dass der Fortschritt nicht zum Rückschritt mutiert. Unter Cifarettos Führung wäre das der Fall.«
Shamar nickte und bereitete in Gedanken bereits die Nachricht vor, die er Tim Pennington von der Global News Agency schicken würde. Die Cifaretto-Fakten würden also auf den Tisch gelegt werden, wo jeder sie sehen konnte. Und dann? Geschah wirklich, was Mitchell sich erhoffte? Er wusste es nicht, und der Zweifel nagte mindestens so sehr an ihm wie die Skrupel, die er dabei empfand.
Die Wahrheit war eine Büchse, die, wenn einmal geöffnet, zu Folgen führen mochte, die vorherzusehen niemand imstande war.
»Verstanden, Mister Mitchell. Ich informiere Sie, sobald die GNA die Nachricht verbreitet hat.«
Der Ratsvorsitzende lachte nur und rieb sich mit der Linken über das unrasierte Kinn. »Wozu, Commander?
Den Rest erfahre ich dann ohnehin aus der Presse. Glauben Sie mir – ich weiß, wie schlechte PR funktioniert …«
*
New York, New Plaza Hotel, 11. November 2271
CIFARETTO – FÜR DAS MENSCHLICHE VERSAGEN!
Vincent Taglieri sah auf die Schlagzeile, die ihm vom Monitor seiner Konsole entgegen zu grinsen schien, und hatte schon keine Lust mehr, den dazugehörigen Artikel zu lesen. Das ganze Netz war voll mit dem Kram, und wo man hinblickte, war der Tenor derselbe. Cifaretto hier, Cifaretto da. Es war zum aus der Haut fahren.
»Schöner Mist, nicht wahr?«
Jasper Mitchells Stimme riss ihn aus seinen Gedanken und zurück in die Wirklichkeit des New Yorker Hotelzimmers, das seit einiger Zeit so etwas wie ein Zuhause für ihn geworden war. Ein Ort, an dem er – vergeblich – versuchte, sich von der Erinnerung an Adric zu befreien, den vermeintlichen Jungen, der durch seine Hand gestorben war.
»Soll heißen, sie glauben es, aber es stört sie nicht?«, fragte Vincent und deutete auf das Display, ohne den Blick von der Schlagzeile zu nehmen.
»Oh, sie stören sich dran«, widersprach der ehemalige Vorsitzende des Hohen Rates betont gelassen. »Aber nur soweit, wie es eine gesunde Skepsis zulässt. Haben Sie gestern Penningtons Talkshow gesehen? Stundenlang predigte der Bursche davon, dass niemand schuldig sei, solange diese Schuld nicht einwandfrei bewiesen sei. Spricht von Kampagnen.
Von ausgleichender Gerechtigkeit. Und gleichzeitig schreiben unzählige Leute weltweit Leserbriefe, loggen sich ins Kom-Netz ein und besudeln den Datenhighway mit ihren ›Plädoyers für das Akzeptieren menschlicher Schwächen‹. Lachen Sie nicht, so nennen die einen Diebstahl: menschliche Schwäche!«
Wie schon bei Mitchells letztem Besuch in diesen Räumen, trat Vincent zum Nahrungsverteiler. Dann sah er seinen Gast an. »Sie mochten das Zeug doch letztes Mal.«
Mitchell nickte, also bestellte er zwei Gläser des Getränks, das einer Spezialität seiner sizilianischen Heimat entsprach, die er noch aus Jugendtagen kannte.
»Und jetzt?«, fragte er, als er mit dem Grappa zu seinem Gast zurückkehrte. »Geben Sie auf?«
Mitchell saß auf dem Sofa in der Sitzecke des Zimmers, blickte durch das Fenster hinaus auf die im Sonnenschein unter ihnen liegende Stadt und nippte sichtlich dankbar an dem Getränk. »Gute Frage«, murmelte er.
»Ich meine, Sie haben alles versucht«, fuhr Vincent fort. »Argumente in London, Schlammschlacht im Nachrichtennetz … Wenn nicht einmal der Beweis der Kriminalität diesen Cifaretto zu stürzen vermag …«
Der ehemalige Ratsvorsitzende seufzte, und Vince fragte sich, ob das an der Situation oder an der Wirkung des Hypnohols lag, das gerade seine Kehle hinab rann und das sofort seine entspannende Wirkung zeigte. Vermutlich an beidem. »Und die Menschheit ins Verderben rennen lassen?«, fragte Mitchell dann. »Nein, Admiral. Die
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