Sternenfaust - 185 - Das erloschene Reich
grotesken Gemälde aus Schmutz und Schweiß verzerrt.
Taro löste den Blick von Nier und wandte sich dem Eponen zu, der offenbar nicht verstand, warum der von ihm Erwählte sich in einer Weise sträubte, die es ihm unmöglich machte, den letzten und unwiderruflichen Schritt zu vollziehen.
Taro blickte in Augen so alt wie die Welt.
Augen, die zu ihm sprachen.
Augen, die um Vertrauen warben.
»Das wirst du mir büßen, elender Niemand!«
Aus dem Augenwinkel sah er, wie Nier die letzte Strecke zwischen ihnen mit rudernden Armen und rennend zurücklegte und gleich ankommen würde.
Später würde Taro schwören, dass in diesem Moment nicht sein bewusstes Ich die Entscheidung fällte, sondern dass er rein instinktiv gehandelt hatte.
Er erwiderte den Blick aus den uralten Augen nicht länger nur passiv, sondern sandte auch die unmissverständliche geistige Botschaft, die den Eponen erst erbeben …
… und sodann Taro verschlingen ließ.
*
Alles, was nun folgte, kam Taro durch und durch unwirklich vor.
Sein erster Ritt startete ohne Vorwarnung, und fast war es, als würde sich der Epone seiner bemächtigen, nicht umgekehrt.
Der junge Karolaner fand sich in einer wundersamen Sphäre wieder, die das Innere des Eponen-Leibes ausfüllte, der sich wie eine Blase um ihn geschlossen hatte.
Taro fühlte sich wie schwerelos.
Schwebend.
Durch die fahle Transparenz der Eponen-Hülle hindurch blickte er hinab auf das Gelände, wo der Ritus stattgefunden hatte und in dessen Nähe sich der Cluster, in dem Taro das Licht der Welt erblickt hatte, wie ein natürliches Gewächs von beeindruckender Größe ausbreitete.
Taro fühlte sich ohne Vorwarnung zwanzig, dreißig Mannslängen hoch katapultiert, weg von Nier – aber auch weg von Jinu, die aus dieser Höhe wie Spielzeugfiguren wirkten.
Der Geist des Eponen durchwob Taros Geist wie ein warmer, prickelnder Strom, und urplötzlich fühlte sich Taro wieder an seinen heimlichen Aufenthalt im Domizil des toten Weisen erinnert, als er mit Jinu die Spiegelkammer betreten und das seltsame Ding im Schrank gefunden hatte.
Sofort änderten sich die Ströme, die der Epone ihm sandte. Plötzlich waren da Bilder, die sich zu etwas formten, das sich mühte, Taros Verständnis zu erlangen.
Für eine Weile vergaß Taro, nach unten zu blicken und die Aussicht zu bewundern, zu der ihm der Epone verholfen hatte. Für eine Weile konzentrierte er sich ganz auf das, was sein neu gewonnener Schicksalsgefährte ihm mitzuteilen versuchte.
Das Gewebe im Schrank! Der Stoff, der …
Der Kontakt brach ab.
Dann nahm der Epone einen neuen Anlauf und schickte ihm neue Assoziationen, mit denen er offenbar hoffte, dass Taro mehr anfangen konnte.
Das Gewebe, sein Duft!
WAS FÜR EIN »DUFT«? , fragte Taro.
Eine Flut neuer Eindrücke brach über ihn herein, und wieder versank er darin, ohne Hoffnung auf wirkliches Begreifen.
Der Epone bemerkte seine Überforderung erst spät, dann aber drosselte er schlagartig seinen überbordenden Informationsstrom.
Und plötzlich ordnete sich alles wie von selbst in Taro.
Plötzlich wusste er, dass er den letztendlichen Sieg – wenn man es so bezeichnen wollte – nicht seinen eigenen Qualitäten zu verdanken hatte, sondern etwas, das ihm angehaftet hatte, seit er Manaks Spiegelgemach betreten und das Ding im Schrank berührt hatte.
Worum handelt es sich bei dem Umhang?
Eine Antwort darauf blieb der Epone schuldig.
Stattdessen sandte er Taro Bilder von wundersamen Orten, die der junge Karolaner teilweise aus Erzählungen kannte, aber noch nie mit eigenen Augen geschaut hatte.
Der Geist des Eponen schien ihm zu signalisieren, dass die Zeit gekommen war.
Taro atmete tief ein.
Als er unter sich blickte, glaubte er zu sehen, wie sich Nier vom Wettkampfgelände stahl, aber nicht den Weg Richtung Stadt einschlug, sondern zu einem kleinen Wäldchen, das sich entlang des Seeufers erstreckte.
Taro hatte immer davon geträumt, mit einem Eponen an weit entfernte Orte zu reiten. Mit Kreaturen, die schnell wie der Wind oder sogar schneller als das Licht dahinzueilen vermochten, je nachdem, was ihnen abverlangt wurde und wozu sie fähig waren.
Was sein Epone zu leisten vermochte, musste sich erst noch zeigen.
Die Prana-Priester hatten geraten, nichts zu überstürzen, sondern den praktischen Umgang mit den Wesen langsam anzugehen, mit Bedacht zu steigern.
Taro war entschlossen, sich auch hier von seinem Instinkt und der Situation leiten zu
Weitere Kostenlose Bücher