Sternenfaust - 194 - Der Hüter des Krinoi'i
noch überlebende Tikar’Senn gibt, werden die Tenebrikoner davon erfahren. Und sie werden nicht aufhören, nach uns zu suchen.« Er blickte seinen Bruder eindringlich an. »Und wer kann schon einem Volk vertrauen, das mit Tenebrikonern Handel treibt?« Er deutete zum Schrein. »Das Krinoi’i ist mit meinem mentalen Schutzfeld umgeben. Die Tenebrikoner können es daher nicht aufspüren. Solange niemand weiß, dass wir noch leben, sind wir einigermaßen geschützt. Und der Auserwählte wird bald kommen und es holen. So lange müssen wir durchhalten.«
»Es war auch auf Tikara-Farrku von deinem Schutzfeld umgeben, und die Tenebrikoner haben es trotzdem gefunden.«
Das war nicht von der Hand zu weisen. Jedenfalls nicht völlig. Das mentale Feld, mit dem der jeweilige Hüter das Krinoi’i umgab, verhinderte, dass die Ausstrahlung seiner Macht die Wände des Schreins verließ. Zumindest war es bislang so gewesen, weil es all die Äonen lang inaktiv gewesen war.
Doch nun, da der Auserwählte nahte, schien das Krinoi’i nach ihm zu rufen.
Corshoan konnte nicht ausschließen, dass das Krinoi’i während einer Trance, in die er für die Visionen fiel, unbemerkt den Schutz durchbrochen hatte. Im Zustand der Trance sah und spürte Corshoan nichts außer den Visionen. Vielleicht war das der Moment gewesen, in dem die Tenebrikoner zumindest erkannt hatten, dass sich das Krinoi’i auf Tikara-Farrku befand.
Vielleicht machte sich Corshoan etwas vor. Vielleicht war seine Vermutung, dass zum Beispiel die Händler der Arakain’Senn, von denen einer sich auffällig oft beim Schrein herumgetrieben hatte, sie an die Tenebrikoner verraten hatte, nur der Versuch seinerseits, sich das eigene Versagen nicht eingestehen zu müssen.
Ranaon machte eine abwehrende Geste. »Wie auch immer. Wir können es uns nicht mehr leisten, das Krinoi’i zu hüten, wenn der Preis dafür die Vernichtung unseres Volkes ist. Deshalb werden wir es den Tenebrikonern überlassen.« Er seufzte. »Das hätte ich bereits veranlassen sollen, als du mir von deiner Vision berichtet hast. Statt die verlustreiche Flucht von Tikara zu befehlen, die unser Volk nahezu vernichtet hat, hätte ich alles tun müssen, um die Tenebrikoner zum Einlenken zu bewegen.«
Corshoan schnappte entsetzt nach Luft. »Das kannst du nicht tun!«
Ranaon blickte ihn missbilligend an. »Erdreistest du dich etwa, deinem Laluum zu sagen, was er tun soll oder nicht?«
»Ich spreche zu dir als mein Bruder, nicht als Hüter zum Laluum. Du kennst die Tenebrikoner so gut wie ich. Du hast die Berichte von anderen Völkern gehört.« Corshoan ergriff Ranaons Hände und drückte sie fest.
»Der mentale Schutz, den ich um das Krinoi’i gelegt habe, garantiert unsere Sicherheit. Wie in all den Jahren zuvor. Du kannst es nicht weggeben.«
Ranaon entzog ihm seine Hände und blickte ihn befremdet an. »Ich bekomme langsam den Eindruck, dass du dich bloß nicht von dem Krinoi’i trennen willst. Es heißt, dass die Hüter mit der Zeit von der ständigen Nähe des Krinoi’i eine Abhängigkeit entwickeln, die erst mit dem Tod erlischt. Offensichtlich sind die Gerüchte wahr.«
Das war eine derart ungeheuerliche Unterstellung, dass Corshoan für eine Weile nicht wusste, was er sagen sollte und erst einmal den Schmerz verkraften musste, den diese Anschuldigung in ihm verursachte. Er wollte Ranaon schon für seinen ungerechtfertigten Vorwurf tadeln, als er in den Augen seines Bruders die Angst entdeckte, die ihn so hatte sprechen lassen. Nicht nur die Angst um das Volk, sondern auch die Angst, in seinem Amt zu versagen und dadurch die Schuld daran zu tragen, wenn die Tenebrikoner auch noch den Rest von ihnen vernichteten.
Corshoans Verletztheit verpuffte. »Laluum, als Hüter des Krinoi’i erinnere ich dich daran, dass das Krinoi’i nicht unser Eigentum ist. Wir bewahren und bewachen es lediglich für den Auserwählten. Er ist nahe. Was sagen wir ihm, wenn er kommt und es verlangt und wir ihm gestehen müssen, dass wir es den Feinden ausgeliefert haben?«
Ranaon seufzte tief. Wie jeder Tikar’San empfand er das Bewachen des Krinoi’i als eine heilige Pflicht, die oberste Priorität hatte. Was Corshoan anführte, war in der Tat das Einzige, was noch über der Sicherheit des Volkes stand.
Schließlich hob Ranaon den Kopf, straffte sich und stand auf. »Du hast recht, Hüter. Wir dürfen das Krinoi’i nicht den Tenebrikonern übergeben.« Er blickte Corshoan eindringlich an. »Also sieh zu,
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