Sternenfeuer: Gefährliche Lügen
er dann zu dem Rest der Jungen gesagt und sich zu den Mädchen umgedreht: »Schnell jetzt, Abmarsch!«
Jetzt führten die Männer sie den Korridor hinunter. Die Kerle wirkten ziemlich außer Atem, und Schweiß strömte ihnen über die Gesichter. Der Mann mit der Narbe hatte eindeutig das Sagen, dachte Waverly, und obwohl er schlank gebaut war und schwache, knochige Arme hatte, schien er zu allem fähig zu sein. Hatten die Fremden Angst, oder waren sie krank? Waverly wusste es nicht. Ihr Atem ging schwer, die Muskeln waren immer noch schrecklich verkrampft, und ihr Herzschlag schien aus dem Takt geraten zu sein. Sie musste zu Atem kommen, aber ihre wahnsinnige Angst machte alles nur noch schlimmer.
»Es hat einen Unfall gegeben«, beantwortete der Mann mit der Narbe eine Frage, die Waverly nicht gehört hatte. »Die Backbordseite ist am sichersten.«
»Und wieso werden dann nicht auch die Jungen hergebracht?«, fragte Waverly.
»Die Jungs holen wir noch.« Der Mann lächelte, als habe sie etwas besonders Dummes gefragt. »Sie sind direkt hinter uns.«
Sie wollte ihm glauben, aber eine nagende Unruhe keimte in ihr auf, als sie die Waffe ansah, die er so fest umschlossen hielt. Wenn er zu helfen versuchte, wieso brauchte er dann ein Gewehr? Von was für einem Plan hatte er gesprochen, kurz bevor er sie vor dem Auditorium eingefangen hatte? Denn ganz genau so fühlte sie sich: gefangen. Waverlys Gedanken rasten. Was konnte sie tun? Wie konnten sie den Fremden entkommen? Aber in ihrem Kopf war nichts als verbranntes Land, und sie konnte nicht klar denken. Also folgte sie den Anweisungen der Männer und schwieg.
Die Gänge waren leer. Vielleicht, so dachte sie, weil die gesamte Crew zusammengezogen worden war, um sich mit dem Unfall zu befassen. Im schwachen Schein der Notbeleuchtung klammerte sich Serafina an Waverlys Shirt und ließ sich mitziehen. Wann immer sie eine Kreuzung passierten, sah Waverly sich verzweifelt nach einem Crewmitglied der
Empyrean
um. Aber die sonst vor Leben summenden Gänge und kleinen Plätze wirkten wie ausgestorben.
Schließlich blieb der Mann mit der Narbe stehen, hielt eine Hand hoch, und der Tross stoppte. Waverly sah zurück und auf die lange Reihe der Mädchen hinter sich. Samantha Stapleton, eine großgewachsene Vierzehnjährige, trug Hortense Müller, die sich bei einem Sturz die Knie aufgeschlagen hatte und weinte. Seit Samantha und Waverly sich in der siebten Klasse geprügelt hatten, war ihre Beziehung stets angespannt gewesen. Samantha war eifersüchtig, dass Waverly für das Pilotentraining, sie hingegen für die Landwirtschaftsarbeit ausgewählt worden war. »Du hast geschummelt«, hatte Samantha durch ihre Zahnlücke gezischt, und Waverly hatte den ersten Schlag nicht kommen sehen, aber sie hatte dafür gesorgt, dass sie sich keinen zweiten einfing. Die beiden Mädchen hatten sich mit blauen Flecken getrennt und seitdem gelernt, einander aus dem Weg zu gehen. Jetzt aber erkannte Waverly, dass Samantha als einziges der Mädchen nicht vor Angst wie paralysiert war. Sie wirkte aufmerksam, beobachtete die Wachen, registrierte ihre Umgebung – und als ihr Blick auf Waverly fiel, schmolz ihre alte Rivalität dahin. Waverly wünschte, sie könnte ihr irgendeine Art von Zeichen geben, das dazu führte, dass sie hier herauskamen, aber es gelang ihr lediglich, den Kopf zu schütteln. Auch Samantha schüttelte nur ungläubig den Kopf. Ja, Waverly konnte auch nicht glauben, dass diese Dinge wirklich passierten.
Der Mann mit der Narbe bedeutete den Mädchen, sich wieder in Bewegung zu setzen. Er steuerte auf eine Schleuse zu, und Waverly, die direkt hinter ihm ging, erkannte zunächst nicht, wohin er sie brachte. Als sich die Schleuse aber schließlich zu einem höhlenartigen Raum hin öffnete, blieb sie schlagartig stehen. Der Backbord-Shuttle-Hangar!
Der Narbenmann sah Waverlys weit aufgerissene Augen und lächelte. »Hast du nicht gehört, dass es eine Luftschleusenfehlfunktion im anderen Shuttle-Hangar gab? Wir müssen euch in einen abgeschlossenen Raum bringen, der unter Druck gesetzt werden kann.«
»Das Auditorium kann auch unter Druck gesetzt werden«, sagte Waverly, der jetzt auch dämmerte, warum Mrs. Mbewe ihr gesagt hatte, sie solle die Kinder dorthin bringen. »Wir waren dort bereits in Sicherheit.«
»Aber wenn das Schiff verloren ist, hättet ihr in der Falle gesessen«, sagte der Mann.
Er log. Waverly wusste, dass es Druckröhren vom Auditorium zum Zentralbunker
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