Sternenfeuer: Gefährliche Lügen
rum –« Seths Stimme brach, aber er beherrschte sich und setzte sich vor den Monitor seines Vaters. Seine Finger flogen über das Display, und Kieran konnte Harvards aufgebrachte Stimme hören.
»… wir hätten unser Wissen teilen können. Ihr hättet nicht –«
»Wir wussten alles, was ihr wusstet.« Es war die Stimme eines Mannes, jemand, den Kieran nicht wiedererkannte. Er klang flehend, fast als bettele er. »Es war zu spät für uns.«
»Wir hätten geholfen, wenn ihr ehrlich gewesen wärt.«
»Worüber reden sie?«, flüsterte Seth, aber Kieran brachte ihn zum Schweigen.
»Das haben wir versucht!«, insistierte der Mann. »Wir haben euren Captain angefleht, sich mit uns zu treffen, aber er weigerte sich.«
»Ich bin mir sicher, dass Captain Jones nur unser Schiff schützen wollte«, sagte Harvard.
»Das machen wir auch. Wir können nicht zulassen, dass wir einfach aussterben.«
Kieran verstand noch immer nicht, worum es ging, aber dass die Crew der
Horizon
scheinbar Angst vor dem Aussterben, zugleich aber Hunderte Menschen auf der
Empyrean
getötet hatte, erschien ihm wie ein schlechter Scherz. Er sah zu, wie sich das feindliche EMS vom Rumpf der
Empyrean
löste und auf das Shuttle zujagte.
»Was hat er getan?«, fragte Seth.
Plötzlich erschütterte eine Explosion die
Empyrean,
Kierans Vidschirm erstrahlte in blendendem Licht, und er bedeckte seine Augen. Ein tiefes Grollen lief durch das Schiff.
»O Gott«, schrie Seth, während er blinzelnd die Anzeigen durchging, um den Schaden einzuschätzen. Das feindliche Shuttle löste sich von der Außenhülle der
Empyrean
und raste davon, auf die
New Horizon
zu. Harvards Shuttle folgte ihm ebenso wie die drei EMS von der
Empyrean.
»Wo fliegen sie hin?«, fragte Seth, der sein übliches zurückhaltendes Wesen komplett abgeworfen hatte.
»Ich weiß es nicht«, sagte Kieran und fixierte stattdessen mit angehaltenem Atem seine Kom-Konsole, bis endlich eine Textnachricht auf dem Computer der Kommandozentrale aufleuchtete:
Hlten Funkstlle. Bleibt auf Krs. Trffen euch.
»Sie versuchen, an die
New Horizon
heranzukommen«, sagte Kieran. »Sie versuchen, die Mädchen zu retten.«
»Halten Funkstille?«, las Seth nachdenklich.
»Ihre einzige Chance ist, die andere Crew im Nebel zu überraschen«, erklärte Kieran. »Um das zu erreichen, müssen sie sämtliche Kommunikation mit uns einstellen.«
Seth nickte düster. Er mochte es nicht, wenn man ihm Dinge erklärte, erkannte Kieran, und er erinnerte sich, dass normalerweise Seth derjenige war, der das Erklären übernahm.
Plötzlich gellte ein Alarm durch das Schiff, und Kieran sprang von seinem Sitz auf.
Große rote Buchstaben erschienen auf seinem Monitor und blinkten drängend: KERNSCHMELZE .
Wie war das möglich? Es gab doch ein Notabschaltungsprotokoll. Weshalb wurde es nicht aktiv? War es etwa sabotiert worden? Fassungslos starrte er auf den Monitor. Strahlung flutete den Maschinenraum – und es gab nichts, was er dagegen tun konnte.
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Teil Zwei
Gefangene
Der Teufel kann sich auf die Schrift berufen.
William Shakespeare
Im Shuttle
D as Shuttle schoss vorwärts, als es die
Empyrean
verließ, und ging dann in einen sanften Flug über. Auf Waverly, die die weiträumigen Agrarkomplexe ihres Zuhauses gewohnt war, wirkte das Shuttle klein, geradezu klaustrophobisch eng. Passagiersitze waren an den Wänden aufgereiht, und die einhundertdreißig Mädchen saßen mit dem Gesicht zur Mitte des Raums, starrten aus den Bullaugen oder sahen einander ängstlich an.
Waverlys Magen rebellierte wegen der Null-Schwerkraft. Sie war angeschnallt, aber sie konnte das Gewicht ihres Körpers nicht spüren, und mit der Handfläche berührte sie ständig den Sitz unter sich, um sicherzugehen, dass er noch da war. Sie hatte ein eigenartiges Gefühl der Nichtexistenz, als hätte sie ihren Körper zurückgelassen und würde über diesen ängstlichen Menschen schweben.
Sie hätte auf Seth hören sollen. Sie hätte weglaufen sollen.
»Ich bin immer noch am Leben«, sagte sie zu sich selbst. Sie wusste das, weil sie Felicitys Bein neben ihrem eigenen spüren konnte. Sie wollte die Hand ausstrecken und ihre Freundin berühren, ihre Hand halten, so wie sie es als kleine Mädchen getan hatten. Das war nicht so lange her, aber Felicity schien jetzt weit von ihr entfernt zu sein, und so blieb Waverly bei sich. Sie wollte nicht verängstigt wirken, und sie wollte sich auch nicht so benehmen.
Die rotgesichtige Frau,
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