Sternenfeuer: Gefährliche Lügen
Captain zog nervös an seiner Oberlippe. Einen Moment lang sah er ängstlich aus, aber dann verwandelten sich seine Gesichtszüge in pure Wut. »Weißt du eigentlich, wessen du mich hier beschuldigst?«
»Natürlich weiß ich das. Und nun erwarte ich, dass du es in Ordnung bringst. Wir müssen uns so schnell wie möglich treffen, und wir brauchen ein paar von euren Familien, die an Bord der
New Horizon
kommen – oder wir sind in sechzig Jahren alle tot.«
»Ein Rendezvous ist nicht möglich. Ihr seid fast ein Lichtjahr vor uns!«
»Ihr könnt die Beschleunigung erhöhen. Wenn wir sie verringern, können wir uns in ein paar Jahren treffen.«
»Weißt du, was das für unsere Crew bedeuten würde?«
»Die Beschleunigungskräfte wären immer noch viel kleiner als die Schwerkraft der Erde. Nicht höher als das, wofür unsere Körper gebaut sind.«
»Nach einer Lebensspanne in geringer Schwerkraft? Das kann ich nicht von ihnen verlangen.«
»Du musst! Oder ich erstatte Bericht an die Erde über deine Verbrechen. Sie werden eine Meuterei auslösen.«
»Sie können mir nichts anhaben, Anne, und du weißt das.«
»Also gibst du es zu. Du gibst zu, uns sabotiert zu haben!«
Captain Jones’ Gesicht nahm einen bösartigen Ausdruck an, und er zeigte mit dem Finger auf den Vidschirm. »Hör zu, du frigide Schlampe! Ich werde die Gesundheit meiner Crew nicht riskieren, um deine paranoiden Wahnvorstellungen zu befriedigen.«
»Ich frage noch einmal: Woher wusstet ihr von dem Phenol? Woher wusstest du davon, wenn ihr uns keine fehlerhafte Formel geschickt habt?«
Mit einem säuerlichen Lächeln entgegnete er: »Was ist los, Anne? Enttäuscht, dass du nicht die Prophetin von New Earth wirst?«
Mather drückte einen Knopf, und das Bild des Captains fror ein. Der verzerrte Ausdruck auf seinem Gesicht ängstigte Waverly.
»Wie du siehst«, sagte Mather, »hatten wir keine Wahl. Es tut mir so leid, dass ihr Mädchen dazwischengeraten seid. Aber wir reden hier von unserem Überleben.«
Waverly wollte Mathers Geschichte nicht glauben, aber irgendetwas an dem Captain in dem Vid schien falsch zu sein – genauso falsch wie Anne Mather.
»Also haben Sie mit der Dekompression gelogen«, sagte Waverly. »Das war überhaupt nicht der Grund, warum Sie zu uns gekommen sind.«
»Nein, ich habe nicht gelogen. Es gab eine Dekompression, aber sie hat unsere Aktion lediglich beschleunigt. Wir hatten keine Zeit mehr für Diplomatie. Wir mussten euch Mädchen sofort retten, ohne Rücksicht auf das Wie.« Mather schloss die Augen, als schmerze sie die Erinnerung. »Wir haben versucht, den Verlust an Menschenleben zu vermeiden. Es sieht mehr und mehr danach aus, als hätten wir versagt.«
Die zwei sahen einander über den Schreibtisch hinweg an, maßen den jeweils anderen mit Blicken und versuchten, ihn einzuschätzen.
»Ich glaube, das ist wohl genug für heute, mein Liebes. Du musst über vieles nachdenken.«
Sie kämpfte sich auf die Füße und begleitete Waverly zur Tür. Waverly war so verwirrt, dass sie einfach davonstürmen und zu einem verlassenen Platz auf dem Schiff rennen wollte, wo niemand sie jemals finden würde. Aber sie konnte nur den Integrationshelfern folgen, die den Gang hinunter zu den Fahrstühlen trotteten.
Alles, was Mather gesagt hatte, wirbelte mit übelkeitserregender Geschwindigkeit durch ihren Kopf, rotierte wie ein Kreisel und brachte ihre Gedanken durcheinander. Während sie den Integrationshelfern folgte, versuchte sie eine Ungereimtheit in Mathers Geschichte zu finden, aber ihr fiel nichts auf. Wenn sie ehrlich zu sich selbst war, glaubte sie, was die Frau gesagt hatte. Zumindest das, wie sich Captain Jones gegenüber den Frauen in der Biosphäre benommen hatte, denn es deckte sich mit ihren eigenen Erfahrungen. Trotzdem, sie vertraute Mather nicht. Sie konnte es einfach nicht.
Sie nahm kaum wahr, dass der Antrieb die Leistung erhöhte und das Deck zu flattern begann. Die künstliche Gravitation nahm einen Zacken zu, und sie fühlte sich schwerer. Als sie die Füße hob und Schritt für Schritt vorwärtsging, dachte sie über das nach, was die Pastorin gesagt hatte. Auch die Integrationshelfer schienen den Gravitationsanstieg zu spüren, denn sie gingen gebeugt, atmeten schwer und hatten Schweißperlen im Nacken. Das Schiff musste die Beschleunigung gerade erst erhöht haben, dachte Waverly – und blieb schlagartig stehen.
Schwerkraft!
Und plötzlich wurde ihr alles klar. Der Metallbrocken im
Weitere Kostenlose Bücher