Sternenfeuer
wurde schnell größer und entpuppte sich schließlich als ein grauweißes Felsmassiv, das eine vage Ähnlichkeit mit einem geduckten Löwen hatte, dessen Kopf nach Norden und dessen Schwanz gen Süden wies. Eine hässliche Wunde klaffte in der Seite des Löwen, wo die Schulterblätter hätten sein sollen, und winzige Gebäude kauerten zu seinen Füßen. Von Weitem schienen sie intakt zu sein.
»Wieso ist die Ansicht nicht wie auf den Bildern?«, fragte Mark und schaute durchs elektronisch stabilisierte Fernglas, das er vom Steward des Boots ausgeliehen hatte. Neben ihm hatte Lisa das Ziel mit ihrem eigenen Glas ins Visier genommen.
»Die traditionelle Ansicht ist von der Landseite im Norden. Wir nähern uns vom Meer und von Osten.«
»Was stellt denn diese weiße Masse im Zentrum dar? Es sieht nach einem großen Steinbruch aus.«
»Das sind alte Zisternen«, erwiderte sie. »Es wurde Regenwasser darin gesammelt und dann in unterirdische Trinkwasserreservoirs geleitet. Sie wurden bei der Sechzehnten Belagerung zerstört.«
»Wobei?«
Lisa setzte das Fernglas ab, das ihr an einem Riemen um den Hals hing. »Auf Gibraltar werden geschichtliche Epochen nach der Anzahl der Belagerungen definiert, die man überlebt hat. Es gab ihrer sechzehn, obwohl die sechzehnte eigentlich eine Schlacht war. Sehen Sie die verfärbte Stelle rechts neben der Zisterne?«
Er visierte sie mit dem Fernglas an und nickte.
»Dort ist der Sprengkopf der dem Untergang geweihten türkischen Flotte gelandet. Glücklicherweise war es nur eine taktische Kernwaffe, sodass die Masse des Felsens die Stadt vor der direkten Druckwelle schützte. Natürlich musste Gibraltar danach aufgegeben werden. Die Zisternen waren zerstört, die Menschen hatten Angst vor dem radioaktiven Niederschlag und viele der alten Gebäude waren einsturzgefährdet.«
Mark stieß einen leisen Pfiff aus, als er die zerstörte Flanke des Felsens von Gibraltar musterte. »Sie haben einen Volltreffer von einem atomaren Gefechtskopf abbekommen und die Schlacht dennoch gewonnen? Kein Wunder, dass der Volksmund danach sagte, etwas sei >so sicher wie der Felsen von Gibraltar!«
»Nein, du Dummerjan«, sagte Lisa und lachte. »Dieser Spruch wurde nach der Vierzehnten Belagerung geprägt.«
Das Tragflächenboot tauchte wieder ins Wasser ein, als es sich der langen Ruine näherte, die einmal Gibraltars südliche Hafenmole gewesen war. In ihrer Eigenschaft als klassisches Verdrängerschiff manövrierte die Fähre an den versunkenen Schiffen vorbei, die beim letzten Angriff im Hafen festgesteckt hatten. Nachdem sie die rostigen und mit Algen und Seetang bewachsenen Inseln aus Stahl hinter sich gelassen hatten, legte der Kapitän am steinernen Kai an, der schon alt gewesen war, als Viktoria über England herrschte.
»Wir werden Sie bei Sonnenuntergang wieder abholen«, sagte der Hauptsteward zu den zwei Forschern, als sie vom schwankenden Deck auf die steinernen Stufen traten, die zum Kai hinaufführten.
»Gut«, erwiderte Mark. Er und Lisa winkten den Wissenschaftlern, die im unteren Restaurantdeck Zuflucht gesucht hatten, und wandten sich ab, als die Turbinen des Tragflächenboots ihr brummiges Lied anstimmten. Als sie oben am Kai angelangt waren, nahm das Boot auf der Weiterfahrt nach Cadiz bereits Kurs auf einen der zwei alten Hafenausgänge.
»Was möchtest du zuerst tun?«, fragte Mark, als sie das Ende der Treppe erreichten.
Lisa sagte nichts. Stattdessen schaute sie über das blaue Wasser und wies auf eine bestimmte Stelle. »Dort müssen D'Arcons Batterieschiffe während der Vierzehnten Belagerung geankert haben!«
»Wie meinen?«
Lisa drehte sich zu Mark um. Und dann sprach sie mit der atemlosen Aufregung von jemandem, der sich den Traum seines Lebens erfüllt. »In den Jahrhunderten, die Gibraltar im Besitz von Großbritannien war, versuchte Spanien alles, um die Kolonie zurückzugewinnen. Von 1779 bis 1782 blockierte die spanische und französische Marine Den Felsen und versuchte ihn ein paarmal im Sturm zu erobern. Das war die Vierzehnte Belagerung, auch als Die Große Belagerung bezeichnet ...«
»Irgendwie hört sich das nicht so an, als ob du eine trockene Geschichtsstunde nacherzählst«, sagte Mark irgendwann später.
»Familiengeschichte«, erwiderte sie. »General Elliot war ein Vorfahr von mir. Er befehligte Den Felsen während Der Großen Belagerung.«
Lisa drehte sich um und warf einen flüchtigen Blick auf die massive Kalksteinformation, die über
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