Sternenfeuer
viel kleinerer Berg als Gibraltar ragte an der afrikanischen Küste empor, weich gezeichnet durch den bläulichen Dunst der Entfernung. Das war Mons Abilia, die andere Säule von Herakles, die einst die Grenzen der Navigation für die Seefahrer des Mittelmeers abgesteckt hatten.
»Schön, nicht wahr?«, sagte Lisa leise und ergriffen, als er hinter sie trat.
»Das ist es«, erwiderte er und legte ihr die Arme um die Taille.
Minutenlang standen sie so da, ohne dass einer von ihnen sich bewegte. Dann lehnte Lisa sich gegen Mark und schmiegte sich an ihn. Sie legte den Kopf in den Nacken, drehte ihn und bot ihm ihre Lippen dar. Er beugte sich zu ihr hinunter und küsste sie - erst sanft, dann leidenschaftlich. Sie löste sich von ihm, drehte sich zu ihm um und umarmte ihn wieder. Eng umschlungen sanken sie auf den weißen Kalkstein und waren für eine Weile sehr beschäftigt. Schließlich riss Lisa sich keuchend los. Sie setzte sich auf, kam wieder zu Atem und sagte: »Ich habe Hunger. Suchen wir einen Platz, an dem wir zu Mittag essen können.«
Mark runzelte verwirrt die Stirn, weil sein Puls so hämmerte. Dann atmete er tief durch, stand auf und klopfte sich den Schmutz von Jahrhunderten von der Kleidung. »Klar, wieso nicht? Ich bin auch schon am Verhungern.«
Sie gingen Hand in Hand einen gewundenen Pfad entlang, der parallel zum Grat Des Felsens verlief und an der Ruine der alten Seilbahnstation vorbeiführte. Dann kamen sie zu einem verwitterten Wegweiser, der ihnen den Weg zu St. Michaels Cave wies. Keiner von beiden sagte etwas auf der langen Wanderung, um die immer stärkere Vorfreude nicht zunichte zu machen.
Die Höhle erwies sich als eine Enttäuschung. Die Stalagmiten und Stalaktiten waren zwar eindrucksvoll, aber durch Jahrhunderte menschlicher Anwesenheit war ihre Schönheit irgendwie verblasst. Das und der unaufhörliche Sprühregen in der Höhle, der aus winzigen Poren im Gestein gespeist wurde, machten ihren Besuch zu einer Stippvisite.
»Rauf oder runter?«, fragte Lisa, als sie am Eingang der Höhle standen. Unter ihnen lag in der Ferne der Europapunkt und rundum die Basis Des Felsens - die Ruinen, die einmal die Stadt Gibraltar gewesen waren.
»Nehmen wir diesen Weg nach links«, erwiderte Mark mit der einstudierten Nonchalance, von der er aber wusste, dass sie keinen von beiden überzeugte. Zur Linken tauchten ein paar kümmerliche Bäume auf und ein paar ebene Stellen, wo man sich ungestört zum Picknick niederlassen konnte.
Arm in Arm umrundeten sie eine steile Klippe und stießen schließlich auf ein kleines rechteckiges Areal, das offensichtlich künstlich war. Der Grund, weshalb jemand diese Plattform neben der Klippe hätte anlegen sollen, war nicht klar. Vielleicht war es ein Ausguck für fremde Schiffe am Horizont gewesen oder eine Radarstation oder sogar die Basis für einen bodengestützten Defensiv-Laser. Welchem Zweck auch immer der Platz gedient hatte, er hatte eine Seitenlänge von ein paar Metern und war absolut flach. Ein winziges Wäldchen aus kleinen Bäumen mit breiten Blättern hatte im Boden um diesen Bereich Wurzeln geschlagen, und die Mitte war mit spitzem Gras bewachsen. In den Augen des jungen Paares war das so lauschig wie eine Waldlichtung und genauso einladend.
Ohne ein Wort ließen sie die Gürtel und Feldflaschen fallen, gingen aufeinander zu und umarmten sich wieder. Diese Begegnung war nicht so zögerlich wie beim letzten Mal. Sie küssten sich mit der Leidenschaft frisch Verliebter und lösten sich nur voneinander, um Luft zu holen, atmeten schwer und voller Begierde, während sie sich tief in die Augen schauten.
Wie durch eine stillschweigende Übereinkunft entledigten sie sich der Kleidung. Der Eifer, mit dem sie sich entkleideten, wurde jedoch dadurch gebremst, dass die Wanderschuhe zu klobig waren, als dass man die Hose oder Shorts einfach darüberzustreifen vermocht hätte. Ein entfernter Beobachter hätte nun amüsiert mit ansehen können, wie zwei halb nackte Menschen auf den Boden sanken und hektisch an den Verschlüssen ihres Schuhwerks nestelten. Und dann wäre die Belustigung in dem Maß, wie die Eigentumsverhältnisse an diversen Armen und Beinen immer unklarer wurden, der Verwirrung gewichen. Zumal die Schuhe der Liebe nicht allein im Weg standen. Kleine, im hohen Gras verborgene Steinchen machten den Boden zu einem unbequemen Lager. Jedoch störten sie sich nicht daran, als sie schließlich in dieser menschlichsten aller Umarmungen
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