Sternenfinsternis (German Edition)
architektonischen Prachtbauten hinweg, sodass die Gefahr, entdeckt zu werden, vermindert wurde.
Bereits aus der Ferne sah er das vollständig erhaltene Institut, in dem sein Vater beschäftigt war.
»Nokturijè. Lande dort unten«, wies er die Mè an, die dem nachkam.
Vor Lucas Scott und Nokturijè erstreckte sich der lange gläserne Zugangstunnel zum Lewell H. Hartland Institut für Krebsforschung. Ängstlich blickte Lucas durch das Glas den gewaltigen Turm nach oben. Er wusste nicht, wovor er sich in diesem Moment mehr fürchtete, davor, nach all den Jahren seinem Vater wieder zu begegnen oder der Erkenntnis, dass er nicht mehr am Leben sein könnte und Lucas niemals die Gelegenheit bekäme, ihm zu sagen, dass er ihm verzeihen würde. Ob er allerdings tatsächlich dazu in der Lage wäre, würde er erst wissen, wenn er ihm gegenüberstünde.
»Und du bist dir sicher, dass dein Vater hier ist?«, fragte ihn die Mè.
»Wenn er nicht hier ist, wüsste ich nicht, wo wir sonst nach ihm suchen könnten.«
»In Ordnung, lass uns reingehen.«
Bereits die Empfangshalle des gigantischen, scheinbar nur aus Glas zu bestehenden Komplexes war menschenleer. Lucas konnte sich noch daran erinnern, wie ihn sein Vater einmal hierher mitgenommen hatte. Damals musste der nicht einmal Zehnjährige achtgeben, nicht einfach über den Haufen gerannt zu werden. Einer schien es eiliger als der andere zu haben. Lucas konnte dem wilden Getümmel nur entgehen, indem er sich schutzsuchend dicht an das Bein seines Vaters presste.
Diesen Ort auf einmal so leer und still vorzufinden, wo er doch ein hektisches Treiben mit ihm in Verbindung brachte, war beinahe gespenstisch.
»Dort drüben sind die Aufzüge«, sagte er und wollte geradewegs auf den kleinen Gang zusteuern, in dem sich ein Aufzug an den nächsten reihte, als Nokturijè ihn am Arm griff.
»Warte Lucas. Ich denke nicht, dass diese horizontalen Beförderungsmittel funktionstüchtig sind. Die geringe Energieversorgung dieses Gebäudes scheint gerade einmal für die Notbeleuchtung auszureichen.«
Der Junge hielt in seiner Bewegung inne und sah ungläubig zu den Aufzügen. Die Kontrollanzeige oberhalb der Lifttüren, über die man informiert wurde, in welcher Etage sich die Transportkabine befand, waren erloschen, was die Vermutung der Mè bestätigte. Genervt wandte er ihr seine Blicke zu.
»Verdammt! Jetzt müssen wir die Treppen nehmen.«
»Ist dir bekannt, auf welcher Ebene sich das Labor deines Vaters befindet?«
»Ich bin mir nicht sicher«, entgegnete Lucas und kniff nachdenklich seine Augen zusammen. »Aber ich denke, mich daran erinnern zu können, dass es die einundzwanzigste Etage war.«
»Und wie könnten wir darüber Gewissheit erlangen?«, fragte sie überspannt.
»Hinter dem Empfang war doch ein Schild, auf dem die Abteilungen und ihre Verantwortlichen verzeichnet waren.«
Lucas lief zur Anmeldung zurück. Wie erwartet, befand sich unmittelbar dahinter an der schwarzen Marmorwand eine große zentimeterdicke Glasplatte, auf der die Abteilungen und die Namen ihrer Leiter eingraviert waren.
»Abteilung Tumorgenetik – Prof. Dr. Nathan Scott – 23. Etage – Zimmer 23.02«, las Lucas laut vor.
»Na dann, auf zur 23. Ebene«, sagte die Mè fröhlich, als ob sie dies als sportliche Herausforderung ansah.
Lucas zeigte sich jedoch alles andere als begeistert – weder über Nokturijès Vergnügtheit, noch über die Tatsache, die unendlich vielen Stufen erklimmen zu müssen.
Lucas wurde mehr und mehr bewusst, während er eine Stufe nach der anderen nahm, wie er körperliche Betätigungen dieser Art verachtete. Bereits nach dem fünften Stockwerk begannen seine Muskeln in den Beinen zu brennen und nach der zehnten Etage fing er an, nach Luft zu ringen. Die Mè war ihm schnell, erst eine, dann zwei und schließlich vier Ebenen voraus.
Als Lucas dachte, nicht mehr lebend oben anzukommen, schrie Nokturijè, die bereits die Zieletage erreicht hatte, zu ihm herab.
»Na komm schon, Junge. Da ist ja die Mutter meiner Mutter schneller, und die ist inzwischen 963 Jahre alt.«
»Danke! Sehr ermutigend«, keuchte Lucas vor sich hin und nahm die letzten fünf Stufen in Angriff.
Endlich bei Nokturijè angekommen, stützte sich Lucas, schwer atmend, mit beiden Händen und gebeugtem Oberkörper auf seine leicht geneigten Knie. Überglücklich über seine Leistung blickte er lächelnd zu ihr auf, als ihm das Etagenschild ins Auge stach. Seine Miene verfinsterte sich
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