Sternenfinsternis (German Edition)
sah seinen Vater vor sich, der in alter Boxer-Manier, die erhobenen Fäuste schwang.
»Na mach schon, Kleiner, steh auf. Oder hast du vor einem alten Mann Angst?«, sprach er Lucas direkt an und führte dabei mit seinen Füßen schon beinahe ein kleines Tänzchen auf, während die Menge in einem Bogen an den beiden vorbeizog.
Obwohl Nathan ihn nicht einen Augenblick aus den Augen ließ, schien er seinen eigenen Sohn nicht zu erkennen, was Lucas ein wenig enttäuschte. Doch wann hatte er ihn das letzte Mal gesehen, geschweige denn, ihn tatsächlich angesehen. Vor dem Tod seiner Mutter, vielleicht sogar noch vor der Diagnose ihrer unheilbaren Krankheit – jedenfalls war es Jahre her und Lucas war damals noch ein Kind. Nun war er beinahe schon ein gestandener Mann, wie sollte er ihn also kennen.
Sein Vater hingegen, auch wenn er älter geworden war, hatte sich in seinen Augen kaum verändert. Er fand es sogar ein wenig lächerlich, dass sein alter Herr gegen einen Jüngeren antreten wollte, der flinker und um einiges fitter war als er und dann auch noch dachte, eine Chance zu haben. Sein Vater schien zu glauben, der junge Muhammed Ali zu sein.
So konnte sich Lucas, als er sich wieder auf seine Beine begab, ein Grinsen nicht verkneifen, und noch bevor er etwas sagen konnte, sah er die Faust seines Vaters auf sich zurasen.
Begleitet von einem starken Schmerz in seinem linken Wangenknochen wurde Lucas erneut zu Boden geschickt.
Qualvoll schrie Lucas auf.
Nie und nimmer hatte er damit gerechnet, dass sein Vater tatsächlich zuschlagen würde. Nathan Scott hatte noch nie in seinem Leben ein aggressives Verhalten an den Tag gelegt und er war weder ihm, seiner Mutter oder irgendjemand anderem gegenüber auf irgendeine Art und Weise gewalttätig geworden. Lucas konnte sich sogar noch an die enttäuschten Worte seines Vaters erinnern, als er erfuhr, dass sich sein Sohn im Kindergarten mit einem älteren Kind prügelte, weil dieser seine Mutter beleidigte. Es war eine wahre Standpauke, die er dem damals Vierjährigen hielt, dass Gewalt keine Lösung sei und er dies niemals seiner Mutter erzählen dürfe, da sie sonst bitterlich enttäuscht von ihm sein würde. Und in all den folgenden Jahren, bis zuletzt, erzählte er ihr nicht davon – jedenfalls verlor seine Mutter nie ein Wort darüber und Lucas ging bis nach dem Tod seiner Mum allem Ärger aus dem Weg, aus Angst, dass sie von ihm enttäuscht sein könnte.
»Verdammt! Was soll die Scheiße, Dad?«, schrie er schmerzvoll und hielt sich seine pochende Wange.
Es war nicht das erste Mal, dass Lucas einen Schlag in sein Gesicht einstecken musste, doch die Tatsache, von seinem eigenen Vater geschlagen zu werden, trieb dem Jungen zur eigenen Verwunderung ein wenig die Tränen in die Augen. Er dachte, dieses kindliche Verhalten bei Schmerzempfindungen in Gegenwart eines Elternteils in Tränen auszubrechen, längst hinter sich gelassen zu haben. Doch er musste sich gewaltig zusammenreißen, nicht richtig loszuheulen.
Nathan sah den jungen Mann, der noch immer halb auf dem Boden lag, entgeistert an. Seine Fäuste hatte er inzwischen gesenkt und ließ immer wieder seine Blicke zu den an ihnen vorbeigehenden Menschen wandern, als ob er erwartete, dass jeden Augenblick jemand aus der Menge hervorsprang und ihm gestand, dass er Opfer der versteckten Kamera wurde.
»Ich bin es wirklich Dad, dein Sohn Lucas«, offenbarte er ihm, ein wenig wimmernd.
Erst als Lucas sich auf seine Beine zurückbegab und seinem Vater unmittelbar gegenüberstand, schien er etwas in den Augen des Jungen zu sehen, was ihm die letzten Zweifel nahm. Mit einem Mal veränderte sich sein Gesichtsausdruck und Nathan stiegen die Tränen in die Augen.
Auch wenn er es noch immer nicht so recht glauben konnte, dass sein totgeglaubter Sohn plötzlich vor ihm stand, ging er den einen Schritt, der noch zwischen ihnen lag, auf Lucas zu und umarmte ihn.
Vater und Sohn begannen zu weinen, aus Erleichterung der tonnenschweren Last entledigt, die ihre Beziehung all die Jahre beschwerte.
»Es tut mir leid. Ich hätte dich niemals gehen lassen dürfen. Es tut mir ja so sehr Leid«, flüsterte Nathan ständig wiederholend, nahe des Ohrs seines Sohnes.
»Es tut mir auch leid, Dad. Jetzt wird alles wieder gut«, entgegnete Lucas.
Nathan löste die Umarmung und sah Lucas ins Gesicht. Deutlich war die leicht gerötete, geschwollene Wange zu erkennen. Sanft strich er mit seinem Daumen darüber, was Lucas augenblicklich
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