Sternenfinsternis (German Edition)
löste sich tatsächlich eine mechanische Fessel nach der anderen. Lucas jedoch blieb standhaft. Noch verwunderlicher für den Jungen war allerdings, dass er, nachdem sich die Tür vor ihm öffnete, ohne dass er es seinen Füßen ›befahl‹, den kleinen Raum verließ.
Vollkommen automatisiert, nicht mehr Herr seines eigenen Körpers, schritt er, wie ein Roboter voran und blieb unmittelbar hinter dem massigen Mann stehen.
Lucas glaubte sich in einem Albtraum wiedergefunden zu haben und versuchte sämtliche Gliedmaße aus eigener Kraft zu bewegen, doch noch nicht einmal seinen Mund oder seine Augen konnte er kontrollieren – er war nur noch ein Geist, ein stiller Beobachter, gefangen in seinem eigenen Körper.
Da sein Blick stetig nur starr nach geradeaus gerichtet war, fiel Lucas das kleine rötlich blickende Kästchen am Hals seines Vordermanns auf, an eben der Stelle, wo er selbst zuvor diese stechenden Schmerzen empfunden hatte. Es stand für ihn vollkommen außer Frage, dass dieses Ding der Grund für seinen Zustand und den von allen anderen war. Doch allein das Wissen darüber befreite einen leider nicht von dieser Ohnmacht.
Auch wenn er immer wieder aufs Neue, während seine Füße selbstständig voranschritten, das Zischen hinter sich vernahm, war es ihm nicht möglich, sich umzudrehen, um sich davon zu überzeugen, ob sein Vater wieder hinter ihm war. Diese Tatsache brachte ihn beinahe um den Verstand und machte die Situation noch um ein Vielfaches unerträglicher für ihn.
Wie eine Armee, im Gleichschritt, von den metallischen Wänden wiederhallend, bewegten sich allesamt durch das kleine Gewölbe voran, auf einen breiten Durchgang zu.
Relativ zügig gelangte Lucas in eine riesige Halle, in deren Zentrum sich ein Glaskonstrukt gewaltigen Ausmaßes befand, von stählernen Stützpfeilern in aufrechter Position gehalten. Für Lucas sah der Behälter wie eine gigantische auf dem Kopf stehende Flasche aus, wie man sie oftmals in Krankenhäusern zu Gesicht bekam, worüber Patienten Injektionslösungen verabreicht wurden. In ihrem Innern befand sich eine orange-gelbliche liquide Substanz, die in ständiger Rotation gehalten wurde. Unterhalb des überdimensionalen Glasbehälters befand sich eine röhrenartige gläserne Kammer, die groß und breit genug war, dass sowohl der hochgewachsenste, wie auch der korpulenteste Mensch ohne Probleme darin Platz fand.
Seine Reihe endete an einem weiteren, jedoch nicht ganz so imposanten gläsernen Konstrukt, welches ihm beim Betreten der Halle durch seine eingeschränkte Sicht bis zu jenem Zeitpunkt verborgen geblieben war.
Einer nach dem anderen musste in den länglichen Glaskasten treten, entkleidete sich vollständig und begab sich dann auf ein Laufband. Dieses führte einen durch mehrere Stationen von Sprühdüsen. Lucas vermutete zuerst, dass es sich dabei um gewöhnliche Reinigungsprozesse handelte, doch dann bemerkte er, dass den Personen während der einzelnen Vorgänge sämtliche Haare ab- und auszufallen begannen. Besonders deutlich wurde ihm dies, als er eine Frau sah, die zuvor noch langes blondes seidenmattes Haar aufwies. Als sie jedoch der Kammer auf der anderen Seite wieder entstieg, war sie vollkommen kahl. Noch nicht einmal die Wimpern und Augenbrauen waren ihr geblieben. Lucas Schamgefühl verwehrte es ihm, sich die unbekleideten Frauen an bestimmten Regionen genauer anzusehen, bei den Männern jedoch sah er, dass auch der Bereich um das Genital aussah wie bei ihm vor noch wenigen Jahren, als dort noch kein einziges Härchen sprießte.
In dem Moment, in welchem er Zeuge geworden wäre, was in der Kammer unter der gewaltigen umgedrehten Flasche mit der seltsamen Flüssigkeit vonstatten ging, auf die er für einen Moment den perfekten Blick gehabt hatte, machte sein Fuß einen Schritt nach vorn und brachte Lucas unmittelbar vor den Zugang des Enthaarungsglaskastens. Unfreiwillig, sich wünschend, dass er wenigstens seine starr nach vorn gerichteten Augen kontrollieren konnte, musste er mitansehen, wie sich der Dicke vor seinen Augen auszuziehen begann.
Dem kam diese Enthaarungskur gerade gelegen, dachte sich Lucas, als der Mann, nackt, wie der Herr ihn schuf, vor ihm stand. Ein Affe hatte an seiner Rückseite bei Weitem weniger Fell, erklang seine Stimme lästernd in seinem Kopf.
Diese scherzhaften Gedanken sollten jedoch nur über seine wahren Gefühle hinwegtäuschen, denn wäre sein Körper unter seiner Kontrolle gewesen, hätte dieser vermutlich
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