Sternenfinsternis (German Edition)
zwang, sein Gesicht zu verziehen und schmerzvoll durch die Zähne Luft einzusaugen.
»Tut mir leid, ich wollte dich nicht schlagen. Wirklich«, sagte Nathan reuevoll und ließ umgehend von der Berührung ab.
»Schon gut, Dad. Ich musste erst sechzehn werden, um einmal von meinem Vater eine verpasst zu bekommen. Ich denke, das kann kaum jemand von sich behaupten«, entgegnete er und grinste dabei.
»Du meine Güte, sechzehn!«, reagierte er überrascht. »Ist tatsächlich schon so viel Zeit vergangen. Ich kann mich daran erinnern, als ob es gestern gewesen wäre, dass ich dich im Kreissaal zum ersten Mal in meinen Armen hielt. Dies war der glücklichste Tag in meinem Leben und nun bist du sechzehn. Ich kann es kaum glauben. Und du siehst deiner Mutter so verdammt ähnlich.«
Das freudige Wiedersehen fand jedoch ein jähes Ende, als ein fliegender Wächter unmittelbar neben den beiden auftauchte und sie mit seinem Objektiv anpeilte.
»Was ist das?«, fragte sein Vater überrascht, dem dieses eigenartige Fluggerät ebenso auffiel wie Lucas.
»Das ist ein Wächter der Mÿnotrôn, der darauf achtet, dass alle in Bewegung bleiben.«
»Mÿnotrôn? Nennen sich diese Fremden so?«, fragte Nathan seinen Sohn erstaunt.
»Ja, aber frag nicht, woher ich das weiß, das ist eine lange Geschichte. Wir sollten jetzt besser weitergehen, dieses Ding kann recht unangenehme Stromstöße austeilen.«
Lucas und sein Vater Nathan folgten weiter dem Strom und gelangten nach wenigen Metern an die Öffnung, welche sie aus dem gewaltigen Zellentrakt herausführte, in einen immer schmäler zulaufenden Korridor. Schon bald war es den Menschen, die immer dichter aneinander gedrängt voranschritten, nur noch möglich, einzeln hintereinanderzugehen.
Immer mulmiger wurde Lucas zumute, der seinem Vater vorausging. Ihm wurde zunehmend heißer, wie ein Feuer des Unwohlseins, welches in ihm aufloderte und den nahezu unzähmbaren Wunsch aufkommen ließ, auszubrechen. Diese Enge war noch schlimmer, als auf Turijain in dem Lüftungsschacht – dort hatte er bei weitem mehr Platz zur Verfügung als hier.
Auch wenn es ihm äußerst schwer fiel, versuchte er sich zusammenzureißen. Ob sein Vater dies nun ahnte oder auch nicht, doch die Tatsache, dass Lucas wusste, dass er unmittelbar hinter ihm war, gab ihm die Kraft, diese psychische Tortur durchzustehen.
Andere schienen jedoch nicht die Willensstärke zu haben oder etwas an dem sie sich in Gedanken festhalten konnten und das ihnen das nötige Durchhaltevermögen gab. Der Beweis hierfür folgte auf dem Fuße, denn weiter hinten in der Reihe schrie mit einem Mal eine Frau auf. Panisch und angsterfüllt hallte ihre Stimme in dem schmalen Korridor wider. Von Sekunde zu Sekunde wurde ihr Schreien hysterischer. Einige der Menschen drehten sich um, um zu sehen, was dort hinten vor sich ging, so auch Lucas und sein Vater.
Schnell hatte sie die Aufmerksamkeit der Mÿnotrôn auf sich gezogen, die seitlich, oberhalb des engen Ganges, von ihren Stegen herab das Geschehen überwachten. Drei oder vier von ihnen, Lucas konnte es nicht recht erkennen, standen einige Meter hinter ihm und seinem Vater, und richteten ihre schweren Gewehre in die Menge hinab. Als ob sie der Frau die Chance lassen wollten, sich wieder zu beruhigen, zögerten die Soldaten. Die Frau, ob sie nun jung oder alt war, wusste Lucas nicht, hatte sich jedoch schon so sehr in ihre Panik hineingesteigert, dass keine Chance mehr für sie bestand, sich ohne Hilfe zu beruhigen.
Einer der Mÿnotrôn feuerte seine Waffe ab. Was dann geschah, hielt sich für Lucas im Verborgenen, doch das tumultartige Resultat war sofort für ihn und seinen Dad spürbar. Wie die Bekloppten schoben und drückten sie von hinten, sodass sich Lucas plötzlich auf Tuchfühlung zu seinem Vordermann befand und sein Dad dicht an seinen Rücken gepresst stand.
Als ob sein Vater die innere Unruhe seines Jungen gespürt hätte, legte er seine Hand auf Lucs Schulter.
»Ganz ruhig. Es ist gleich vorbei«, flüsterte er mit sanfter Stimme.
Sicherlich wusste Lucas, dass auch sein Dad nicht wusste, wie lange dies noch anhalten würde, dennoch hatten seine Worte eine unwahrscheinlich beruhigende Wirkung auf ihn. Nach so langen Jahren hatte er tatsächlich das Gefühl, dass sein Vater in einer Notsituation bei ihm war. Das Beklommene wich einer Empfindung, die dem Wohlbehagen und der Geborgenheit, nach dem er sich so lange sehnte, beinahe gleichkam.
Langsam kam die Reihe vor ihm
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