Sternenkinder
wären sie ins Innere einer riesigen Lichtkugel gesprungen.
»Ingenieur. Zustandsmeldung«, blaffte Pirius.
»Eine halbe Sekunde vor dem Sprung sind wir getroffen worden«, rief Bleibende Hoffnung. »Pech… Die Waffenbucht hat was abgekriegt.« Er lachte. »Ich glaube nicht, dass wir einen einzigen Xeelee getroffen haben. Aber die Waffenbucht hat die Energie des Schusses geschluckt und uns gerettet.«
»Andere Systeme?«
»Die Sensorkapsel ist intakt«, verkündete Nilis. »Wir haben keine Daten verloren. Und jetzt sind wir im Schweif von IRS Sieben?«
»Ich glaube schon.«
Der »Schweif« war der Überrest der äußeren Schichten des unglücklichen roten Riesen, die vom heftigen Sonnenwind aus dem blauen Sternhaufen im Zentrum weggeblasen wurden. »Wir haben auf die Wurzel gezielt, wo der Schweif auf die noch vorhandene Hülle trifft«, erklärte Pirius.
»Also sind wir wirklich im Innern eines Sterns… Gute Arbeit.«
»Wir leben noch. Also ja, gut genug.«
»Und die Xeelee?«
»Keine Anzeichen dafür, dass sie schon unsere Spur aufgenommen haben.« Pirius warf einen Blick auf seine Displays. »Ich werde ein paar Minuten warten. Dann arbeiten wir uns mit einer Reihe kurzer Sprünge im Schweif vorwärts. Und sobald wir draußen sind, wenn wir Glück haben…«
Nilis nickte. Pirius musterte ihn neugierig. Er wirkte immer noch erstaunlich ruhig, und Pirius fand, dass sein Gesicht glatter aussah, als hätte es ein paar charakteristische Merkmale eingebüßt. »Ist alles in Ordnung mit Ihnen, Kommissar?«
Nilis lächelte ihn an. »So aufmerksam wie eh und je!… Ich könnte das niemals an ihn weitergeben, weißt du.«
»An wen?«
»Nilis – äh, den Ur- Nilis. Mein Original. Natürlich muss er die Daten und meine analytischen Eindrücke bekommen. Aber ich glaube, den Rest sollte ich ihm vorenthalten. Die Emotionen. Ich habe schon mit dem Löschungsprozess begonnen.«
»Sie sind ein Virtueller. Es verstößt gegen Ihre Programmierung, sich selbst zu editieren.«
Nilis schüttelte den Kopf. »Man kann einem Virtuellen keine Intelligenz verleihen, ohne ihm auch gewisse Entscheidungsbefugnisse einzuräumen.« Sein Lächeln verblasste. »Aber es ist schon ein… seltsames Gefühl, Teile meines Geistes abzuschalten. Wie ein partieller Selbstmord. Doch es ist unumgänglich. Er würde mit dem Projekt nicht weitermachen, wenn er es wüsste.«
»Wenn er was wüsste? Dass Sie Angst hatten?«
»O nein, das nicht. Angst ist unwichtig. Im besten Fall werden drei unserer acht Schiffe heimkehren, Pirius. Nein, es geht nicht um Angst: Es geht um den Horror, die Menschen um einen herum für seine Ideen sterben zu sehen. Nilis hat sich dem niemals wirklich gestellt, weißt du, während er in seinem Garten auf der Erde gehockt und sich in seine Forschungen vertieft hat. Er wird nicht stark genug sein. Ich weiß das, weil ich nicht stark genug bin. Aber er muss weitermachen; er muss das Projekt Hauptradiant um unser aller willen beenden.«
»Kommissar…«
»Mit mir ist alles in Ordnung. Ich habe es schon aus mir rausgeschnitten, weißt du.« Nilis hob den Kopf. Im Licht des roten Riesen warfen die Linien seines ausdruckslosen virtuellen Gesichts sich unmerklich verlagernde Schatten. »Fliegen wir jetzt nach Hause?«
33
Nilis blieb beim Saturn und studierte das Material, das Pirius aus dem Konfigurationsraum geholt hatte; allem Anschein nach handelte es sich um Pläne für ein Waffensystem. Offenbar plagte ihn jedoch sein schlechtes Gewissen, denn er schickte Pirius Rot zur Erde und befahl ihm, sich auszuruhen. Pirius hatte eigentlich keine Lust dazu, erhob aber keine Einwände.
Die Ruhekur zeitigte allerdings nicht die gewünschten Ergebnisse. Pirius Rot war wieder allein; er teilte sich Nilis’ Wohnung nur mit ein paar Robotern.
Natürlich befand er sich hier auf der Erde, inmitten einer gewaltigen Bevölkerung von Milliarden Menschen, mehr als auf jeder anderen menschlichen Welt mit Ausnahme der pathologischen Koaleszentengemeinschaften. Deshalb war es irgendwie noch schlimmer als im Venus-Habitat.
Er versuchte, in den von Menschen wimmelnden Gängen und Parks der Konurbation spazieren zu gehen. Er holte sogar eines der alten Gewänder des Kommissars heraus, damit er nicht so sehr aus der Menge hervorstach. Aber er hatte nichts gemein mit diesen plappernden, selbstsicheren Horden und ihrem ausgefüllten, komplizierten Privatleben, ihren verwirrenden Geschäften, ihren weichen Händen und glatten
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