Sternenlaeufer
wütend, wenn das Mädchen bei dem Versuch, ihn einzufangen, gestorben wäre?
»Ich werde Eurem Vater nur erzählen, dass Ihr sehr tapfer wart.«
»Oh, ich danke Euch, Herr«, hauchte sie und die leidenschaftliche Dankbarkeit in ihren Augen bekräftigte ihre Unschuld. Nicht einmal die Gewissheit, dass sein Beschützerinstinkt angesprochen werden sollte, konnte ihn daran hindern, genau das zu fühlen. Er sagte sich, dass er dasselbe Gefühl jedem entgegenbringen würde, der so völlig schutzlos war.
Kapitel 19
Stronghold: Frühjahr, 33. Tag
Rohan war wütend über Andrys Anwesenheit bei der Audienz, die Lord Barig und den beiden Rechtsgelehrten aus Gilad gewährt wurde, aber er musste die Taktik seines Neffen doch bewundern. Indem er gerade heute nach Rivenrock ausritt, zeigte er seine Verachtung für Prinz Cadars Anspruch, über die Lichtläufer zu urteilen, und stellte gleichzeitig doch sicher, dass er erfuhr, was gesagt wurde. Er hatte Oclel beauftragt, an seiner Stelle an der Audienz teilzunehmen. Die Anwesenheit eines einfachen Faradhi anstelle des Herrn der Schule der Göttin war eine Beleidigung, die Lord Barig mit einem wütenden Blick registrierte, auf den Oclel mit nichts sagender Miene reagierte. Rohan verbarg seinen eigenen Ärger und ließ den ersten Teil der Audienz mit bewundernswerter Geduld über sich ergehen, obwohl er die ganze Zeit daran dachte, dass er viel lieber draußen in der frischen Luft reiten würde. Sie saßen im Sommersalon, den Sionell vor Jahren nach den Wandteppichen so genannt hatte, die die Wüste in dieser Jahreszeit darstellten; die Behänge erinnerten Rohan ständig an eine Schönheit, die er weit lieber ganz unmittelbar genossen hätte anstatt in leuchtender Wolle gestickt.
Oclel spielte seine Rolle perfekt. Er lauschte Barigs Vortrag und den Ausführungen der Rechtsgelehrten, wobei das hübsche Gesicht unter der Masse hellen Haares keine Reaktion zeigte. Rohans forschender Blick wanderte mehrmals zu ihm hinüber, während er überlegte, was Andry ihm wohl aufgetragen hatte und wann er es herauslassen würde. Endlich beendeten die Rechtsgelehrten ihren Vortrag hübsch berechneter Argumente, die an Rohans Traditionsbewusstsein appellieren sollten, und Barig fasste zusammen.
»Wir sind deshalb der Ansicht, Hoheit, dass diese Person Gevlia, die ursprünglich aus Isel stammt, mehr als Arzt denn als Lichtläuferin gehandelt hat und deshalb nach den Gesetzen von Gilad bestraft werden sollte. Diese sind durch Hunderte von Jahren von einer Reihe edler Prinzen und in letzter Zeit von meinem Vetter Prinz Cabar formuliert worden, und wir in Gilad segnen seine weise Herrschaft über uns und vertrauen darauf, dass sie noch viele Jahre fortbestehen wird.«
Rohan holte Luft, um Barig für seine Worte zu danken, aber Oclel war schneller.
»Herr«, wandte er sich an Barig, »da die Weisheit und die Jahre, die Seiner Hoheit von Gilad gewährt wurden, ein Geschenk der Göttin sind, solltet Ihr Eure Dankbarkeit vielleicht besser ihr gegenüber ausdrücken.«
Sanfte Worte, aber ernst gemeint. Rohan sah, dass Sioned Oclel mit neu erwachtem Interesse musterte. Die Rechtsgelehrten blähten sich empört auf, aber Barig war überraschend wenig beunruhigt.
»Mir ist allerdings aufgefallen«, meinte er nachdenklich, »dass der Name und die Güte der Göttin in letzter Zeit immer häufiger erwähnt werden.«
»Und zu Recht, mein Herr«, erwiderte Oclel.
»Auffällig oft«, gab Barig zurück. »Zum Beispiel gestern Abend in der Großen Halle. Ich weiß nicht, wie die Dinge in der Schule der Göttin gehandhabt werden. Aber im Palast Seiner Hoheit von Medawari machen wir kein Ritual daraus, uns für Speisen und Getränke zu bedanken, die wir und nicht sie produziert haben.«
Sioned mischte sich ein. »Ich bin sicher, dass der Göttin angemessener Dank für Gilads Reichtum bezeugt wird, wie es auch hier in der Wüste getan wird. Schließlich sind wir in diesem Jahr besonders gesegnet.«
»Landwirtschaftlich gesprochen, Hoheit«, bemerkte Barig aalglatt, »hat der Regen die Blüten hervorgebracht. Wenn man überhaupt jemandem danken sollte, dann gewiss dem Vater des Sturms. Und der hat im letzten Winter andererseits auch einen großen Teil der Felder und Herden ertränkt. Sagt mir«, wandte er sich erneut an Oclel, »hatten er und die Göttin vielleicht einen Streit, wie er unter Liebenden üblich ist? Was meint Ihr?«
Oclel zog die Brauen hoch. »Wir können ihr Wesen wohl kaum verstehen, Herr.
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