Sternenlaeufer
war außer Stande, genau zu bestimmen, was das war. Gewiss war sie schön, und in gewisser Weise ganz anders als andere Frauen, die er kannte. Aber obwohl Pol empfänglich war für jede Art von Schönheit, vom Glanz des Veresch im Frühjahr bis zu der zarten Grazie von Fironeser Kristall, war er doch noch nie ein Sklave seiner Sinne gewesen. Ihre Musik verzauberte ihn, aber das hatte Musik schon immer getan. Er entschied, dass das, was ihn reizte, die Ungewissheit war. War sie wirklich so, wie sie schien, oder verbarg sich hinter ihrer Verletzbarkeit ein rücksichtsloser Geist?
Er würde es herausfinden. Aber im Augenblick war er sich zweier Dinge sicher: Erstens stellte sie eine Gefahr dar – entweder durch genaues Wissen darüber, wie Miyons Heirats- und Todesplan ablaufen sollte, oder durch totale Unschuld, die ihn wirklich verzaubern konnte. Zweitens musste er, bis er herausfand, was davon stimmte, fern von ihren Augen und Ohren handeln. Wenn sie mit Miyons Zielen vertraut war, durfte sie nicht den Eindruck gewinnen, sie hätte Erfolg; wenn nicht, dann wollte er ihr keinen Schmerz zufügen. Seine Gespräche mit Feylin und Riyan an diesem Tag würden seinen Eltern wiedergegeben werden; einfach nur neben ihr zu sitzen, das würde ebenso gut wirken, wie wenn er ganz offen mit ihr flirtete. Außerdem, so überlegte er, wusste sie wahrscheinlich gar nicht, wie man das machte.
Es beunruhigte ihn, dass er absichtlich diejenigen zum Narren hielt, die ihn liebten. Aber ihm blieb kaum eine Wahl. Sein Vater hatte schließlich dasselbe getan. Aber er war ganz anders als Rohan. Rohan hatte gelernt zu warten. Er zog es sogar immer vor zu warten, dass sich die Dinge von selbst entwickelten. Für gewöhnlich arbeitete die Zeit für ihn; manchmal tat sie es nicht. Aber Pol war nicht aus demselben Holz geschnitzt. Er musste etwas tun und konnte nicht bloß warten, bis ihm oder anderen Dinge zustießen. Er musste die Ereignisse beeinflussen, sie in die Richtung wenden, die er im Auge hatte. Er vermutete, dass er mit der Zeit die Art von Geduld entwickeln würde, die sein Vater besaß. Aber im Augenblick …
Nach dem Essen stiegen einige aus der Gruppe noch einmal auf die Pferde, um in den Rivenrock Canyon zu reiten. Pol kicherte vor sich hin, als er Riyans Bemühungen beobachtete, Ruala allein begleiten zu können, was von den Zwillingen zunichtegemacht wurde. Sie hatten sie ins Herz geschlossen und bestanden darauf, dass sie mit ihnen ritt, erlaubten jedoch großzügig, dass Riyan sich ihnen anschloss. Maarken und Hollis beschlossen, im Pavillon zu bleiben und gemütlich mit Andry und Sionell zu plaudern. Meiglan jedoch kam mit. Ob sie es wünschte oder ob ihr vorher ein entsprechender Befehl gegeben worden war, darüber konnte frei spekuliert werden.
Feylin spielte die Führerin, als sie in die Schlucht ritten. Nialdan, Andrys Faradhi -Begleiter , lauschte hingerissen, als Feylin den Zyklus der Drachenpaarung beschrieb: zuerst den Verzehr von Bittersüßpflanzen, dann den Klippentanz und den Sandtanz, in deren Verlauf die Weibchen ihre Partner auswählten.
»Anschließend mauert das Drachenweibchen seine Eier ein, damit sie während des Sommers ausgebrütet werden. Wenn die kleinen Biester dann ausschlüpfen, verschlingen sie ihre schwächeren Geschwister, damit sie selbst die Kraft bekommen, die Mauern zu durchbrechen. Sie atmen Feuer, um ihre Schwingen zu trocknen und zu härten. Und um ihre erste Mahlzeit zu rösten.«
Nialdan würgte. »Verstehe«, bemerkte er zitternd.
Feylin unterdrückte ein Grinsen und fuhr gnadenlos fort. »Ja, es heißt, dass man früher, als die Drachen diese Höhlen noch benutzten, geschmortes Drachenfleisch bis nach Radzyn hinauf riechen konnte, wenn die Mauern schließlich eingerissen wurden. Fragt einmal Lord Andry. Er wird es Euch bestätigen.«
Der große Lichtläufer nickte schwach. Seine Augen waren weit aufgerissen.
»Natürlich ist das nichts im Vergleich zum Paarungsgestank. Die Altdrachen verströmen einen entsetzlichen Gestank. Ihr fragt euch vielleicht, woher ich so viel weiß«, fügte sie hinzu. »Vor ein paar Jahren hatte ich das große Glück, auf einen toten Drachen zu stoßen. Es sind bemerkenswerte Geschöpfe. Die Struktur ihrer Schwingen ist natürlich unglaublich, aber der Magen und das Gehirn waren fast ebenso interessant, nachdem ich erst all das Blut abgewaschen hatte.«
»Tatsächlich, Herrin«, brachte Nialdan hervor. Er war sehr blass.
Pol warf einen Blick
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