Sternenlaeufer
einer der Höhlen versteckt, um der Hitze des Tages – und prüfenden Augen – zu entgehen. Eine weitere Erinnerung stieg hoch. Jenes erste Mal, wo sie in einer Drachenhöhle gewesen war. Das war bei der letzten Jungdrachenjagd gewesen, nachdem sie und Rohan Maarken und seinen Zwillingsbruder Jahni davor bewahrt hatten, von einem verschreckten kleinen Drachen angesengt zu werden. Schuppenstücke und Bruchstücke kleiner Knochen hatten den Sand darin übersät; sie wünschte Ruval einen angenehmen Tag inmitten der Überreste von hundert Generationen von Drachen.
Sorgfältig suchte sie die Klippen nach Anzeichen von Verrat ab: Haufen loser Steine, die auf den Gedanken eines Zauberers hin fallen konnten; eine Grube, die nur mit einem Tuch bedeckt und dann mit Pflanzen und Sand getarnt war; Seile, die so zwischen Felsen gespannt waren, dass sie im Dunkel kaum sichtbar sein würden. Es gab nichts, und das beunruhigte sie. Alles, was sie wusste und alles, was sie im Hinblick auf Ianthes ältesten Sohn vermutete, ließ sie nur an List und Tücke denken. Aber dann wurde ihr klar, dass es nicht nur Ianthes Sohn, Roelstras Enkel, sein würde, gegen den er kämpfte. Seinen Anspruch begründete er aus seiner Abstammung, aber seine Herausforderung hatte er als Zauberer erklärt. Und mit Zauberei würde er Pol bekämpfen, bis einer von ihnen zwischen den sonnenheißen Blumen tot im Sande lag.
Sie kehrte in die Gärten zurück, tauchte ihre Hände noch einmal in das kühle Wasser und überließ sich einer letzten Erinnerung. An diesem Ort hatte sie Pol zum ersten Mal gesehen. In Feuer und Wasser hatte sie die Vision eines winzigen, perfekten Sohnes gehabt, der mit seinem goldenen Haar und den fein geschnittenen Zügen so offensichtlich Rohans Kind war, dass ihr Herz sich in der Brust überschlagen hatte. Sie hatte sich selbst gesehen, wie sie ihn nährte. Und dann war da die Wunde, die ihr von ihrem eigenen Feuer in ihre Schulter gebrannt worden war. Die Zweifel der vergangenen Nacht kehrten mit voller Kraft zurück. War es nur Zufall, dass die Narbe sich nicht auf ihrer Schulter, sondern auf ihrer Wange befand? Oder hatte sie wirklich einen Fehler begangen, als sie dafür gesorgt hatte, dass diese Vision in Erfüllung ging? Musste sie für diesen Fehler, der aus Ungeduld und zu starken Gefühlen geboren war, nicht nur mit der Narbe auf ihrem Gesicht bezahlen, sondern auch mit Gefahr für Pol?
In der langen Zeit, in der sie Ianthe von Stronghold aus beobachtet hatte, hatte sie die drei anderen Kinder mehrmals gesehen. Wenn sie in jener Nacht rücksichtslos genug gewesen wäre, wenn sie sich nicht so ausschließlich auf Pol konzentriert hätte, wären Ruval, Marron und Segev dann damals ebenfalls gestorben? War der Unterschied in den Narben das sichtbare Zeichen dafür, dass sie einen fatalen Fehler begangen hatte?
Derartige Gedanken trieben zum Irrsinn. Sioned erhob sich vom Brunnen und trocknete ihre Hände an ihrer Hose ab. Was geschehen war, war geschehen und konnte nicht ungeschehen gemacht werden. Aber es erschreckte sie, dass Pol vielleicht leiden musste, weil sie Fehler gemacht hatte.
Sie verließ die Gärten in Richtung auf den Haupthof, wo Pferde in dem Orange aus Cunaxa gesattelt wurden. Es war eine der Belastungen als Persönlichkeit des öffentlichen Lebens, dass Sioneds feuergoldenes Haar überall sofort erkannt wurde; sie war nie in der Lage gewesen, sich heimlich unter eine Menschenmenge zu mischen, ganz gleich, wie schlicht sie gekleidet war. Als Miyons Wächter sie sahen, hörten sie auf zu reden, ja sogar zu atmen.
»Guten Morgen«, wandte sie sich an deren Kommandanten. »Wie ich sehe, geht Ihr auf Patrouille?«
»Ja, Hoheit«, erwiderte er hilflos.
Sie nickte und fuhr mitfühlend fort: »Der Verdacht, der durch die letzten Ereignisse auf Eure Soldaten gefallen ist, muss äußerst schockierend gewesen sein. Dass Ihr herausfinden musstet, dass nicht nur einer, sondern sogar zwei Angehörige der alten Rasse der Zauberer sich irgendwie eingeschmuggelt hatten.«
»Ein … ein Schock, Hoheit.«
»Es muss gleichermaßen eine Erleichterung bedeuten, dass Euer Ansehen nicht länger durch ihre Gegenwart beschmutzt wird. Ich frage mich aber immer noch, wie es ihnen gelungen sein kann, in Euren Reihen aufgenommen zu werden. Zugegeben, Zauberei ist ein mächtiges Werkzeug, aber jemand muss sie Euch doch vorgeschlagen haben, vielleicht sogar darauf beharrt haben, dass Ihr sie auf diese wichtige Reise
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