Sternenlaeufer
lehnte sich in seinem Sessel zurück. Man sah ihm jeden einzelnen seiner siebzig Winter an. Seine goldbraunen Augen, erstaunlich schön in einem ansonsten unschönen, faltigen Gesicht, waren dunkel und glanzlos. Aber nicht aus reiner Müdigkeit, sagte sich Rohan. Eine ältere und tiefere Müdigkeit lag in ihm, eine Niedergeschlagenheit des Geistes.
»Andry war niemals, was man als fügsam bezeichnen würde«, begann Urival. »Brillant, intelligent, wissensdurstig, ja. Aber auf seine Art ebenso wenig zu beherrschen wie Sioned. Es hat sich gezeigt, dass seine Art gefährlicher war. Habt Ihr gehört, dass er im kommenden Frühjahr Vater wird?«
»Andry ist verheiratet? Mit wem?« Rohan machte sich nicht die Mühe, sein Erstaunen zu verbergen. Tobin und Chay, die davon ebenso wenig informiert worden waren wie er, würden toben.
»Sagte ich, er hätte eine Gemahlin erwählt?«
Rohan warf einen Blick auf Morwenna, die grimmig nickte. »Deshalb sind wir fort. Nicht, weil er das Mädchen nicht geheiratet hat, nicht einmal, weil er es geschwängert hat. Es war die Art, wie er es getan hat, und die Zukunft, die das heraufbeschworen hat. Beides hat für uns die Zukunft zerstört.«
»Für mich«, korrigierte Urival. »Du wolltest bleiben und ihn überzeugen. Vielleicht wäre das der rechte Weg gewesen. Ich weiß nicht. Aber ich konnte nicht länger bleiben. Nicht, wenn er die Nacht des ersten Ringes dazu benutzt, einem Mädchen, das kaum älter ist als sechzehn, einen Sohn zu machen.«
Rohan fiel fast der Weinkelch aus der Hand. Er starrte den Faradh’im vor Verblüffung sprachlos an.
»Du weißt über diese Nacht natürlich Bescheid«, fuhr Urival fort. »Der Knabe oder das Mädchen rufen zum ersten Mal offiziell vor dem Herrn oder der Herrin der Schule der Göttin FEUER an. Nach jener Nacht sind sie nicht mehr unberührt.« Er warf einen kurzen Blick auf Morwenna. »Sie war eine der enthusiastischsten Lehrerinnen, die Knaben in den Freuden des Mannseins zu unterweisen.«
Morwenna warf ihren schwarzen Zopf über die Schulter. »Ja, und dich hat man schreiend und strampelnd nur ein paarmal für dieselbe Pflicht zu den Mädchen zerren können!«
Ein Lächeln zuckte über sein Gesicht. »Das ist viele, viele Jahre her.«
»Aber ich wette, du kannst dich noch erinnern!« Ihre Stimme war scharf, aber ihre dunklen Augen tanzten.
»Das sind Erinnerungen, die die langen, kalten Nächte eines Mannes erwärmen«, gab er locker zurück. Dann wandte er sich wieder Rohan zu. »Die Maske der Göttin wird benutzt, um die Identität vor der Jungfrau zu verbergen.«
Rohan nickte. »Sioned … hat ein-, zweimal davon gesprochen, vor langer Zeit. Sie hat es nicht erfahren.« Er dachte an sein eigenes, unschönes Verhalten – lag es wirklich schon fünfundzwanzig Jahre zurück? –, als er erfahren hatte, dass seine Auserwählte nicht als Jungfrau in sein Ehebett kommen würde. Jetzt stand er dieser Erinnerung mit Abstand gegenüber und staunte, dass ihm diese Tatsache einst so viel bedeutet hatte. Natürlich war er damals gerade erst einundzwanzig gewesen, noch dazu sehr unsicher als Prinz wie als Mann und ausgesprochen verliebt.
»Sie hat es nie erfahren«, wiederholte Urival leise und hielt Rohans Blick mit seinem eigenen fest.
Und der Hoheprinz begriff plötzlich, dass eine der süßesten Erinnerungen, die die Nächte des alten Mannes wärmten, die Initiierung von Sioned war. Er spürte, dass ihm das Blut ins Gesicht stieg, und sagte sich streng, dass er in seinem Alter den Fluch einer hellen Haut längst hinter sich gelassen haben sollte.
»Natürlich nicht«, meldete sich Morwenna knapp. »Keine von ihnen weiß, wer es ist. Es ist nur so, dass Andry die Tradition verändert hat. Zumindest, was die Mädchen angeht. Wir haben immer sorgfältig darauf geachtet, diese Nacht zeitlich so zu wählen, dass kein Kind aus der Verbindung entstehen kann. Und die Pflicht wird immer auf mehrere Männer verteilt. Aber Andry hat dieses Recht für sich und zwei andere Männer reserviert. Als ich ihn wegen Othanels Schwangerschaft befragte, gab er rundheraus zu, dass er es so eingerichtet hatte, dass sie ein Kind empfangen würde!«
»Und dann hat er abgelehnt, sie zu heiraten.« Urivals Gesicht war wieder grimmig. »Er hat mir erzählt, sie habe eingewilligt, sein Kind zu bekommen – sie fühle sich sogar geehrt. Welche ehrgeizige Frau täte das nicht, wenn sie das Kind des mächtigen Herrn der Schule der Göttin tragen würde, der noch
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