Sternenlaeufer
Verstand war kurz davor, zu splittern wie Fironeser Kristall, als er damit rechnete, dass ihm diese Krallen jeden Augenblick die Eingeweide aus dem Leibe reißen würden.
Doch der Drache rührte ihn nicht an.
Der Kontakt wurde sanfter, trotz der schrecklichen Schmerzen, die das Tier ertragen musste. Pol hielt den Atem an, als wortlose Fragen sich überschlugen, als Bilder und Gefühle und Fragen sich miteinander mischten, bis er spürte, dass sein Verstand gefährlich nachließ. Der Drache schien das zu erkennen und zog sich ein wenig zurück. In der Luft zwischen ihnen berührten seine Faradhi -Sinne ihr leuchtendes Farbmuster, das viel intensiver war als alles, was er jemals gefühlt hatte. Sein Versuch in Drachenruh hatte in einem Schock geendet, der ihm wirklich und wahrhaftig Angst eingejagt hatte. Jetzt begriff er, dass er damals einfach nicht genug Zeit gehabt hatte – oder dass sein Bedürfnis nach einer Berührung nicht groß genug gewesen war.
Verloren in dieser Begegnung war er sich der Schlacht, die für einige kurze Augenblicke um ihn herum tobte, überhaupt nicht bewusst. Er zeigte ihr ein Bild des Teiches in Drachenruh und die Schafe, die dort für die Drachen gehalten wurden. Ein leises Brummen drang an sein Ohr, und er lächelte, als das Tier Licht in der Form seines Palastes malte. Der blaugraue Stein leuchtete in der Dämmerung. Er war sich der Schmerzen des Tieres bewusst, aber sie waren auf einmal etwas Entferntes, nicht das kreischende Brennen in ihrem Flügel und ihrem Vorderbein. Doch als er versuchte, ihr in Bildern Hilfe anzubieten – Salben und liebevolle Pflege, so lange sie diese brauchte, um gesund zu werden –, liefen ihm bei ihrer Antwort Tränen über die Wangen: beim Bild ihres leblosen Körpers. Sie würde niemals wieder fliegen können, nicht einmal mit einem geflickten Flügel. Und ein Drache, der nicht fliegen konnte, war wie ein Faradhi, dem man die Sonne fortnahm.
»Herr! Herr, bitte! Kommt zurück!«
Er wimmerte vor Schmerzen, als jemand seinen verletzten Flügel schüttelte. Es verging, und er sah, dass sein eigener Arm von Edrels zitternden Händen umklammert wurde.
Mit belegter Stimme befahl er: »Hol Riyan – sag ihm, er soll den Drachen einschlafen lassen. Wir wollen ihm weitere Schmerzen ersparen …« Ganz plötzlich fiel ihm ein, warum er auf Knien im Gras lag, und er drehte sich um. »Gütige Göttin«, stöhnte er.
Rialt und die Wachen waren gekommen, aber es war zu spät gewesen. Ruval und Marron waren fort. Blut klebte an Riyans Tunika und noch mehr an seinen Händen; er rieb krampfhaft seine beringten Finger, als wollte er die Haut abreiben. Mit einem verzweifelten Ausdruck in den Augen beugte er sich über Pol.
»Sorin …«, fing er an und schluckte.
»Nein«, hauchte Pol. Mit Edrels Hilfe kam er auf die Füße und stolperte zu der Stelle, wo sein Vetter lag. Das Blut an Riyans Händen stammte aus einer klaffenden Wunde an Sorins Schenkel. Sein Puls wurde schon schwächer. Ein verzweifelt angelegter Verband war sinnlos; die Arterie war durchtrennt worden.
Pol sank auf die Knie und strich seinem Vetter das sonnengebleichte, braune Haar aus den Augen. Er versuchte, seine Furcht hinunterzuschlucken.
Sorin erwiderte seinen Blick. »Mein Prinz«, sagte er leise, aber mit fester Stimme. »Ich habe sie verloren – tut mir leid.«
»Nein. Sorin …«
»Lass mich sprechen, Pol.« Seine Mundwinkel verzogen sich zu einem leichten Lächeln. »Sie sind eine Bedrohung für dich, daher müssen sie getötet werden. Tu das für mich.«
Pol nickte hilflos und warf dann Rialt und Riyan einen Blick zu. Riyan standen Tränen in den Augen, und er schämte sich ihrer nicht. Das erschreckte Pol. Rialt schüttelte nur den Kopf und wandte sich ab.
»Es tut wirklich nicht weh«, flüsterte Sorin. »Sag das Mutter.« Ein plötzliches Stöhnen strafte seine Worte Lügen.
»Ruhig, ruhig«, tröstete ihn Pol und löste den Wasserschlauch von seinem Gürtel. »Wir bringen dich nach Elktrap zurück und …«
»Nein, nach Feruche.« Sorins Blick war einen Moment lang nicht mehr so klar, aber das änderte sich sogleich wieder. »Ich weiß, du kannst Andry nicht so vertrauen, wie ich es tue, aber versuche wenigstens … ihn zu verstehen. Um meinetwillen, Pol. Bitte. Und um deiner selbst willen auch.«
»Sorin …«
»Versprich es mir. Ich habe Euch nie um etwas gebeten, mein Prinz, aber darum bitte ich Euch jetzt.«
Pol räusperte sich. »Ja – ich verspreche dir alles,
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