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Sternenlaeufer

Sternenlaeufer

Titel: Sternenlaeufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Rawn
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stirbt.«

Kapitel 12
    Feruche: Frühjahr, 9. und 10. Tag
    »Sag du’s mir.«
    Pol warf seiner Mutter einen bittenden Blick zu, da er sich unfähig fühlte, mit Tobins ruhiger, befehlsgewohnter Art umzugehen. Sioned erwiderte seinen Blick ganz ernst. Sie sagte nichts, und das Mitgefühl in ihren Augen verriet ihm, dass dies einer der schrecklichen Augenblicke war, in denen man als Prinz Verantwortung übernehmen musste, selbst wenn man hilflos war. Er nickte leicht und berührte die Schulter seiner Tante. Dann zog er sie aus dem Raum, der Sorins ganzer Stolz gewesen war, hinaus auf den breiten Balkon mit Blick auf die Wüste. Die anderen blieben drinnen – Sioned, Chay, Hollis und Tallain. Rohan hatte getreu einem Schwur, den Pol nicht verstand, nach dessen Gründen er sich aber auch nicht zu erkundigen wagte, weder einen Fuß nach Feruche gesetzt, noch würde er es jemals tun. Stattdessen war er in der wieder aufgebauten Garnison am Fuße der Klippen geblieben. Sionell und Ruala hielten sich mit Hollis’ Kindern und Sionells eigener kleiner Tochter in dem hastig eingerichteten Kinderzimmer auf, fern von dem Kummer, den die Kinder nicht verstehen konnten. Maarken und Riyan bereiteten unterdessen das Ritual vor, das in der kommenden Nacht stattfinden sollte.
    Die Dünen dehnten sich wie angehäuftes Gold vor ihnen aus. Pol starrte auf die endlose Wüste und überlegte, wie er anfangen sollte. Tobin hatte sehr wenig gesagt, seit sie gestern Abend eingetroffen war. Sie hatte die Nacht neben ihrem toten Sohn verbracht, und obwohl von Ruala bereits alle Vorbereitungen getroffen worden waren, hatte sie darauf bestanden, Sorin noch einmal zu waschen und ihn persönlich in die Farben seines Besitzes und Erbes zu kleiden. Das Blau und Schwarz von Feruche in seiner Tunika; das Rot und Weiß von Radzyn um seine Taille; das strahlende Blau der Wüste in dem Umhang, der ihn umhüllte. Samt und Seide häufte sie auf ihren Sohn, doch ihre Augen blieben trocken, und ihr Gesicht war versteinert.
    »Erzähle«, sagte sie noch einmal, und zum ersten Mal hörte er ihren Schmerz wie ein leises Donnergrollen in der Ferne. Er sah sie an, ergriff ihre Hände und zwang sich, in ihre glanzlosen, schwarzen Augen zu blicken.
    Er erzählte es langsam und vollständig und ließ nichts aus außer Sorins Todeskampf. Er ersparte sich nichts. Bitterer Selbsthass erfüllte ihn, weil er sich in die Berührung mit dem Drachen verloren hatte, während Marron angriff. Er ließ sie die Szene so sehen, wie Riyan sie ihm beschrieben hatte. Ruval war mühsam auf die Füße gekommen und hatte die Klinge erhoben, um Pol das Leben zu nehmen. Sorin hatte sich verzweifelt eingemischt. Marron hatte Edrels schlanke Gestalt gepackt und den Knappen auf Riyan geschleudert. Ruvals Verteidigung war schwächer geworden, da die Krallenwunden an seinem Rücken seinen Schwertarm schwächten. Und dann hatte Marron sein Schwert in Sorins Bein gebohrt, wobei er nicht nur den Knochen verletzte, sondern auch die Arterie durchtrennte. Dabei hatten Riyans Ringe gebrannt, was bedeutete, dass irgendwo Zauberei ins Spiel gekommen war.
    »Riyan … Riyan sagt, er und Edrel hätten mit all ihrer Kraft an dem Schwert zerren müssen, um es aus der Wunde zu lösen. Er glaubt, dass es ein Zauber war, irgendetwas. Göttin, und die ganze Zeit … Es ist meine Schuld. Er hat mir das Leben gerettet, und ich … Wenn ich nicht so mit dem Drachen beschäftigt gewesen wäre …«
    »Pst.«
    »Aber es ist wahr.« Pol zwang sich, ihrem Blick zu begegnen. »Andry hat Recht gehabt. Wenn ich fähig gewesen wäre zu helfen, dann würde Sorin noch …«
    Tobin entzog ihm ihre Hände, und Pol zuckte zusammen. Aber im nächsten Augenblick schon umfasste sie mit kleinen, zarten Fingern sein Gesicht. »Andry hatte kein Recht, so etwas zu dir zu sagen. Er war verletzt und bekümmert, Pol. Er hat jemanden gebraucht, dem er die Schuld geben kann. Wenn ein Zwilling seine zweite Hälfte verliert …« Tobin brach ab und schüttelte den Kopf. »Ich habe es bei Maarken gesehen, als Jahni an der Seuche starb. Andrade empfand dasselbe, als meine Mutter starb. Schelte ihn nicht für das, was er im Mondschein gesagt hat. Und geh nicht so hart mit dir selbst ins Gericht. Dich trifft keine Schuld.«
    »Nein?«, fragte er tonlos. »Sorin sagte, ich sollte versuchen, Andry zu verstehen.«
    »Und du hast versprochen, du würdest es tun.« Tobin streichelte seine Stirn, dann ließ sie die Hände hinabsinken. Sie wandte

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