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Sternenlaeufer

Sternenlaeufer

Titel: Sternenlaeufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Rawn
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seinen Knochen, das irgendetwas verlangte. Er entschuldigte sich bei seiner Mutter und verließ den Raum, um durch die Hallen und Türme von Feruche zu streifen, bis es dämmerte.
    Sorins Leichnam wurde in dieser Nacht im Sand unterhalb von Feruche verbrannt. Öle und Berge süßer Kräuter und Gewürze erfüllten die Luft mit dem Rauch des Scheiterhaufens und wurden emporgetragen. Pol stand allein in der Stille und wartete auf die Morgendämmerung, in der er und die anderen Lichtläufer seiner Familie einen Wind beschwören würden, der die Asche über den Dünen verteilen sollte. Als die Monde über den sternenbesäten Himmel wanderten, wusste er, dass er an Sorin denken sollte: an die freundschaftlichen Reibereien, die sie als Kinder gehabt hatten, an seinen Stolz, als sein Vetter zum Ritter und Athri erhoben worden war, an die Zuneigung und den Respekt, den sie sich als junge Männer entgegenbrachten. Aber bei jeder Szene, die ihm in den Sinn kam, drängte sich Ruvals Gesicht dazwischen. Es war vielleicht nicht sein Schwert gewesen, das Sorin getötet hatte, aber er war dafür verantwortlich. Er wünscht mein Prinzentum – und meinen Tod. Was er stattdessen bekommt …
    Tapfere Worte, Vetter. Hast du dasselbe gedacht, während du meinen Bruder hast sterben lassen?
    Andry! Der flinke Angriff mit wütender Farbe, nur ein wenig blasser, weil mit dem Mondschein gewirkt, überraschte ihn. Andrys Beherrschtheit, sein Gefühl für Nuancen, waren Dinge, die Pol noch lernen musste. Doch der Herr der Schule der Göttin, der die Fähigkeiten, die Pol nur gelegentlich einsetzte, täglich benutzte, verfügte bereits über eine lockere Anmut im Umgang mit der Macht, die Pol gleichzeitig bewunderte und verabscheute. Er reagierte schnell und hielt seine Gefühle verborgen. Er hätte darauf gefasst sein sollen, sagte er sich. Ich dachte mir schon, dass du heute Nacht hier sein würdest.
    Die einzige Möglichkeit, die mir blieb, in Anbetracht deiner Eile, meinen Bruder zu verbrennen. Andrys Kummer und Wut waren fast greifbar. Du konntest nicht warten, bis ich dort war, oder? Ich habe sofort im Sattel gesessen, als ich ihn sterben fühlte …
    Du bist zu viele Tagesritte von Feruche entfernt. Mit absichtlicher und ein wenig schuldbewusster Grausamkeit fügte Pol hinzu: Hättest du lieber, dass das Fleisch deines Bruders durch tagelanges Warten verdirbt, als dass es rein dem Feuer übergeben wird?
    Einige Augenblicke lang herrschte tiefes Schweigen. Ich habe es gespürt, als er starb. Es war, als hätte man mir die Hälfte meiner Seele entrissen. Du wirst das niemals verstehen.
    Ich teile deinen Kummer, Andry. Dein Zorn auf mich kann nicht größer sein als mein eigener. Aber ich verspreche dir, was ich auch ihm versprochen habe. Ruval wird dafür sterben. Ruval und Marron, alle beide.
    Erzähl mir von ihnen, sagte Andry – und ehe Pol Worte formen konnte, fühlte er, wie seine Erinnerungen betastet, untersucht und schließlich verworfen wurden, so locker, wie er selbst wohl mal einen Fruchtkorb durchsah. So. Aha. Ich verstehe.
    Pol bebte vor Wut über dieses Eindringen. Wie kannst du es wagen! Sorin hat mich gebeten, sanft mit dir umzugehen und zu versuchen, dich zu verstehen. Tobin hat mich gebeten, dir zu verzeihen, dass du mir die Schuld gibst. Aber jetzt will ich verdammt sein, wenn …
    Mir verzeihen? Bring mich nicht zum Lachen, Vetter! Wie könntest du mich wohl verstehen? Du hast niemals auch nur einen Fuß in die Schule der Göttin gesetzt, du hast nicht die geringste Ahnung von ihr oder unseren Traditionen oder davon, was es heißt, ein wahrer Lichtläufer zu sein! Urival mag närrisch genug gewesen sein, dich ein paar Tricks zu lehren und dir einen von Andrades Edelsteinen zu geben, aber was die wahre Macht angeht – bleib du lieber bei deiner Politik und dem Rumpuzzeln an deinem hübschen Palast. Du hast einfach nicht meine Klasse.
    Nein?
    Er wusste, dass er es eigentlich nicht tun sollte. Aber er tat es trotzdem. Mit Hilfe eines dunklen Zaubers, den er aus der Sternenrolle gelernt hatte, schloss er die Augen und schickte einen messerscharfen, dünnen Strahl leuchtenden Feuers zu Andry hinüber – nicht stark oder scharf genug, um das Mondgewebe zu durchtrennen, als Warnung jedoch ausreichend. Er spürte Andrys überraschtes Atemholen, seinen wütenden Verdacht, die plötzliche Gewissheit – und den hastigen Rückzug.
    Pol schaute zu seiner Mutter hinüber, die neben Tobin stand. Er wusste, sie würde an dem

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