Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sternenschatten

Sternenschatten

Titel: Sternenschatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
Vom Netzwerk:
sie durch das Tor gingen, sondern das, wovon sie träumten. Eine Mama, einen Papa, ein Haus.
    Aber der Schatten bedeutet doch, dass passiert, was man will? Oder nicht?
    »Kehrst du dorthin zurück, Pjotr?«, fragte Till leise.
    »Irgendwann. Ich muss Kelos noch die Hand drücken. Und ihm sagen, wie dankbar ich ihm bin. Außerdem ist es immer schön, sie zu besuchen …«
    Der Anker. Ich warf den Anker aus. Ich spannte den Faden zwischen den Welten. Ich wob eine neue Realität, nicht nur für diese »schwierige Gruppe« im Internat der Geometer, sondern auch für Kelos, für mich selbst, für alle, die je durch ein Tor gehen würden.
    In der christlichen Religion gibt es den Begriff der »spirituellen Zeit«. Wollte man diesen Terminus in die Sprache der Wissenschaft übersetzen, dann wäre es eine Zeit, die keine Richtung hat. Und das Kausalitätsprinzip funktioniert in ihr auf eine höchst ungewöhnliche Weise.
    Im Moment lebte ich förmlich in dieser spirituellen Zeit. Bald versuchte ich, diese Jungen aus der zärtlichen Welt der Geometer herauszuziehen, bald, Kelos aus dem Feuer zurückzuholen.
    Wer kennt die Antwort, wenn sie im Schatten verborgen liegt?
    »Wenn du es jetzt willst …« Till streckte die Hand zum Samen aus. Doch noch bevor er ihn berührte, zuckte er zurück. »… könnten dann überall auf Der Heimat Tore entstehen?«
    »Wahrscheinlich.«
    »Warum willst du es denn nicht?«
    Das war nicht einmal mehr eine Frage. Das war eine Anklage. Eine Herausforderung. Eine Beleidigung, die mich bis ins Mark traf. Und da wurde mir klar, dass Nik Rimer sich durchgesetzt hatte. Der Samen wartete. Und ich stritt mich nicht länger mit ihm …
    »Es ist nur zu begrüßen, dass Pjotr nichts tut, was nicht rückgängig zu machen ist.«
    Die fremde Stimme in meinem Rücken traf mich wie ein Peitschenhieb. Die Gesichter der Jungen wurden lang, versteinerten, verloren von einer Sekunde zur nächsten ihre Lebendigkeit.
    »Das Schlimmste, was man tun kann, ist unüberlegt zu handeln. Die Fähigkeit, unüberlegte Handlungen zu vermeiden … und den Moment der Entscheidung hinauszuzögern … das ist eine große Kunst.«
    Ich wandte mich um. Der Cualcua murmelte etwas darüber, wie schwierig es sei, in dem unvollkommenen menschlichen Körper die Kontrolle über eine Situation zu behalten, und dass er bereit sei, die Kampftransformation einzuleiten … Ich hörte gar nicht hin, ich sah nur den Mann an, der durch die Tür kam.
    Ich kannte ihn. Flüchtig.
    Von meinem Besuch des Weltrats her.
    Big, der Kommodore der Fernaufklärung.
    Ein kräftiger, blondhaariger Mann mit offenem, wohlwollendem Gesicht.
    Wenn ich mich nicht irrte, der ehemalige Vorgesetzte von Nik Rimer.
    Am erstaunlichsten fand ich, dass auch die Kinder ihn kannten. Griks Augen strahlten, Fal lächelte, Laki stand auf. Till dagegen blieb an meiner Seite, wanderte nicht ab.
    »Guten Tag, Jungs«, begrüßte Big sie zärtlich. Selbst wenn er kein Ausbilder war, erfreute er sich größter Beliebtheit.
    »Guten Tag, Kommodore Big!«, antwortete die gesamte »schwierige Gruppe« fast einstimmig.
    Mich beschlich ein seltsames Gefühl. Nein, nicht das von Verrat … eher als mache man sich über mich lustig.
    Da war ich auf Der Heimat aufgetaucht, die Schlange der Versuchung in Gestalt von Nik Rimer … Ein Apfel hatte mir nicht gereicht, diese Kinder der Geometer in Versuchung zu führen …
    »Kommodore Big, ist das hier eine Unterrichtsstunde?«, fragte Till forsch.
    »Nein, Kinder. Das ist keine Unterrichtsstunde. Das ist alles die Wahrheit. Ihr habt mit einem fremden Kundschafter gesprochen.«
    Till sah mir in die Augen.
    »Ich habe euch das von Anfang an gesagt!«
    Nun rückte auch er vorsichtig von mir ab.
    Aber was hatte ich denn erwartet? Sie verhielten sich ja völlig korrekt. Solange die Situation an der Grenze zum Spiel blieb, durften sie Gott weiß was glauben. Dass es in der Welt Hunderttausende von Planeten gibt, die man gar nicht alle ändern kann. Und dass die Wendigen Freunde gemeine Raubtiere sind, die man nicht achten, sondern mit Napalm verbrennen sollte.
    Aber dann kam ein Erwachsener, noch dazu der planetenweit bekannte Held Kommodore Big. Und der rückte mit einigen wenigen Worten wieder alles an seinen Platz.
    »Ich darf doch auch weiterhin auf Ihre Vernunft zählen, Pjotr?«
    Big blieb an der Tür stehen. Dabei hatte er mit Sicherheit keine Angst vor mir, denn etwas in jeder seiner Bewegungen brachte den bedingungslosen Glauben an seine

Weitere Kostenlose Bücher